21. Januar 2021, Dr. Christine Leithäuser
Die kurze Phase der Demokratie wird durch eine militärische Intervention der CIA beendet. Der gewählte Präsident Arbenz Guzmán muss abdanken. Die geplante Landreform fällt aus. Die USA installieren eine Marionettenregierung in Guatemala. Es folgen vierzig Jahre Militärdiktatur und Bürgerkrieg.
Verantwortlich ist letztlich die United Fruit Company, die ihren ausgedehnten Landbesitz in Guatemala behalten wollte. Sie bezahlte eine breite Presse-Kampagne in den USA, in der Arbenz Guzmán als Kommunist und Handlanger Moskaus diffamiert wurde. Der damalige CIA-Direktor arbeitete gleichzeitig als Rechtsanwalt und Lobbyist für die UFCO.
Auch heute noch sind wesentliche Akten zu diesem ersten militärischen Putsch unter der Regie der USA in Mittelamerika unter Verschluss. Es etablierte sich ein Staat, der von wenigen Familien beherrscht wurde. Sie stellen das Führungspersonal in der Regierung, beim Militär, den Wirtschaftsverbänden, in der Justiz, der Polizei und in den Parteien. Auch heute noch regieren diese Familien. Und die Straflosigkeit.
Der Kommunalwahlkampf ist vorbei. Die kurze Phase des Streites um die richtigen politischen Ideen und Konzepte ist einer allgemeinen Lähmung gewichen. Der alte OB genießt den ungestörten Ruhestand. Der neue ist ein lächelndes Plakat. Der geplante wirtschaftliche, ökologische und soziale Aufbruch fällt aus. Ein Lockdown folgt dem nächsten.
Verantwortlich ist letztlich ein intimer Kreis aus Verwaltungsbeamten, Politikern, Juristen, Journalisten und Vorständen großer Unternehmen. Sie beeinflussen die lokale Presse. Sie sorgen dafür, dass kritische Stimmen öffentlich diffamiert und wirtschaftlich ruiniert werden. Ihr Einfluss reicht bis in die Staatsanwaltschaft.
Hier und heute sind wesentliche Akten über das ruinöse Handeln dieser Seilschaften unauffindbar oder manipuliert. Die ehrenwerte Stadtgesellschaft verursacht Schäden in Millionenhöhe. Und bleibt straffrei.
Nur wenige Bürger interessieren sich überhaupt für die Kommunalpolitik. Sie bemerken es selten, wenn politische Entscheidungen in Wuppertal nicht im Interesse des Gemeinwohls getroffen werden. Sie hinterfragen nicht, ob die Parteien und der neue OB umsetzen, was sie im Wahlkampf versprachen. Sie lassen zu, dass alte Seilschaften bedient werden und der Rat den Neuanfang verschläft. Die lokale Wirtschaft und das gesellschaftliche Leben werden nach und nach zerstört.
An der Oberbürgermeister-Stichwahl am 27. September 2020 nahmen 37,2 Prozent der Wahlberechtigten teil. 53,5 Prozent dieser Stimmen erhielt Uwe Schneidewind. Also wünschten sich 19,9 Prozent aller Wahlberechtigten Herrn Schneidewind als OB, das waren 53.285 der 267.766 Wahlberechtigten dieser Stadt. Am 13. September 2020 gaben noch 46,9 Prozent der Wuppertaler ihre Stimmen ab, bestimmten die Sitzverteilung im Rat und die Kandidaten für die OB-Stichwahl. Die Wahlbeteiligung im Jahr 2020 lag nur knapp über der des Jahres 2015.
Wie schon zuvor sind die Nichtwähler die größte Fraktion. Dazu befragt, sagen viele unter ihnen: „Wozu wählen gehen– es ändert sich ja doch nichts.“ Oder drastischer: „Das sind eh‘ alles Verbrecher.“ Das Vertrauen in die Politiker ist mehrheitlich verloren gegangen. Das Interesse an ihrer Arbeit anscheinend auch. Wer regt sich noch auf über die Floskeln der politischen Zunft oder wenn Stadtentwicklungsprojekte scheitern. Die Rechnung zahlt ein schweigender Bürger.
Herr Schneidewind hatte sich im Wahlkampf so präsentiert: er werde alles besser machen, die große Transformation der Stadt in die Wege leiten, er verkörpere den Wandel und den Aufbruch. Und er sei eine kompetente Führungspersönlichkeit. Was ist in den ersten zwölf Wochen seiner Amtszeit passiert? Er hat nicht einen wegweisenden Beschluss zustande gebracht. Weder zur Klimapolitik noch zur Stadtentwicklung noch zur Konsolidierung des maroden städtischen Haushaltes. Er hat auch nicht die Fehler des ehemaligen OB berichtigt.
In der konstituierenden Sitzung des Rates am 2. November 2020 wurde der Antrag der LINKEN abgelehnt, den Abriss der Schule auf der Hardt auszusetzen und die bauliche Situation der Schule von unabhängiger Seite prüfen zu lassen. So hätte man eine kostengünstigere Variante für die notwendigen Sanierungsvorhaben an zwei Wuppertaler Schulen finden können. Der Rat votierte aber mehrheitlich für die Verschwendung öffentlicher Mittel, indem er an einem unsinnigen Vorhaben stur festhielt. Der neue OB hätte diesen Beschluss beanstanden müssen.
Dann kam am 11. Januar 2021 das Eingeständnis des Scheiterns: das Gebäudemanagement teilte mit, es sei nicht in der Lage, die eigenen Pläne zu erfüllen. Die realen Kosten für die Anmietung von Klassencontainern sind tatsächlich doppelt so hoch wie veranschlagt, außerdem fehlen Genehmigungen. Verspätet erfolgt darauf der Stopp des ganzen Vorhabens auf der Hardt. Ein neuer Ratsbeschluss soll bis Mai 2021 vorbereitet werden. OB Schneidewind weiß nur zu sagen, es sei wichtig, den Vorgang sehr gründlich aufzuarbeiten, um wieder Vertrauen herzustellen. Hat er schon vergessen, dass er an dem „Vorgang“ persönlich beteiligt war? Jedenfalls will er den Eindruck erwecken, er habe damit nichts zu tun. Richtig ist, dass die Stadtverwaltung und der Rat gemeinsam eine spektakuläre Fehlentscheidungen wider Treu und Glauben getroffen haben. Die Fraktionen versuchen zwar, die Schuld allein dem GMW zuzuschieben. Aber fachliches Unvermögen war es nicht allein. Vor allem sachfremde politische Gründe führten zu dem Beschluss vom 2. November 2021. Man kann sich das im Rats-TV ansehen.
In der zweiten Ratssitzung am 23. November 2020 ging es ausschließlich um die Besetzung der Gremien. Die dritte Ratssitzung am 7. Dezember 2020 hatte ursprünglich eine lange Tagesordnung. Tatsächlich beschlossen wurden: die Verbesserung der Pensionsansprüche des neuen OB, ein Appell an die Landesregierung zur Organisation des Schulbetriebs, die Straßenordnung, Gebührenerhöhungen, Zuschüsse an Vereine, Bauvorhaben und wieder Gremienbesetzungen. Die Beschlüsse zur Innenstadtentwicklung, zum Fernwärmeausbau und zur Fortschreibung des Lärmaktionsplanes wurden hingegen vertagt. Bei der Besetzung der Aufsichtsratsposten fällt unangenehm auf, dass das Schwebebahn-Desaster keine personellen Konsequenzen nach sich zog: Nach wie vor ist Herr Dietmar Bell, gelernter Krankenpfleger, Gewerkschaftsfunktionär und Mitglied des Landtages NRW, der Aufsichtsratsvorsitzende der Wuppertaler Stadtwerke.
Der Rat und die Verwaltung haben also weder eine Wende eingeleitet, noch einen Aufbruch begonnen. Ganz im Gegenteil. Sie haben den neuen OB finanziell besser gestellt, Aufsichtsratsposten ohne Rücksicht auf die Arbeitsleistung vergeben, Gebühren erhöht und Baumaßnahmen beschlossen, von denen bereits eine abgesagt werden musste.
Ein zentrales Wahlthema des Herrn Schneidewind war, erfolgreiche Ditigalisierungsstrategien aus anderen Städten für Wuppertal umzusetzen. Darauf wartet die Bürgerschaft noch. Mit dem zweiten Lockdown Mitte Dezember wurden erneut alle Schüler kurzfristig nach Hause geschickt und im Anschluss versagten mindestens zehn Schulserver. Trotz einer eigenen städtischen IT-Abteilung, eines städtischen Medienzentrums, der Teilnahme am Projekt „Digitale Modellkommune“ seit 2018 und der etwa 20 Millionen Euro Förderung durch das Land NRW ist die Stadt nicht in der Lage, ihren Schülern eine stabile elektronische Kommunikation mit ihren Lehrern zu ermöglichen. Das kann Google besser. Oder Zoom. Oder Skype. Oder Whatsapp. Kostenfrei.
Eine funktionale Ausstattung der Schulen setzt eine fachlich qualifizierte Verwaltung voraus. Sonst trifft sie die falschen Entscheidungen. Der für die städtische IT-Abteilung verantwortliche Stadtdirektor, Dr. Slawig, ist Historiker. Mit etwas Weiterbildung hätte er erkennen können, dass es in der „freien“ Wirtschaft heute Standard ist, Speicherplatz und Software von professionellen Dienstleistern in der Cloud zu mieten. Aber die wirtschaftlich und technisch sinnvolle Lösung wurde in Wuppertal nicht gewählt. Stattdessen wurden und werden die Wuppertaler Schulen mit eigener Server-Hardware ausgestattet und warten immer noch auf Breitbandanschlüsse. Diese Doppelstrukturen sind teuer und ineffizient. Ohne Scham teilt Dr. Slawig über die WZ am 8. Januar 2021 mit, es werde Monate dauern, bis die zehn Server „aufgerüstet“ seien. Und er sei „weit davon entfernt, zu garantieren, dass es problemlos läuft.“ Das städtische Medienzentrum bleibt wegen der Verlängerung der Lockdown-Maßnahmen bis mindestens Ende Januar geschlossen. Hier zeigt sich deutlich, dass sich die Stadtverwaltung nicht an die Werte Aufrichtigkeit, Fleiß und Pünktlichkeit hält. Das waren einst die Grundlagen unserer Gesellschaft.
Also stehen alle Familien seit dem 15. Dezember Januar 2020 ganz allein vor dem Problem, wie ihre Kinder lernen können. Der Appell des Rates der Stadt vom 23. November 2020 nimmt sich nun wie Hohn aus: Das Land möge doch den Kommunen mehr Eigenverantwortung bei der Organisation des Schulbetriebs während der Gefährdung durch das Corona-Virus zubilligen.
Der Wahlkampf war für CDU und GRÜNE teuer. Zahlose Wahlplakate waren auf der Talachse und in den Wohnvierteln platziert. Sie zeigten: Markante Gesichtszüge und bunten Text. Immer ging es um „Qualifikation“, „Führungsstärke“, „Können“. Im „100-Tage-Programm“, publiziert auf seiner Wahlkampf-Website, versprach Herr Schneidewind eine „neue Verantwortungskultur in Stadtverwaltung und städtischen Gesellschaften“ zu etablieren. Er wollte insbesondere die „Organisation und Finanzierung des Stadtmarketings auf neue Füße“ stellen.
Stadtmarketing ist das Geschäftsfeld der Wuppertal Marketing Gesellschaft (WMG). Sie finanziert sich hauptsächlich aus öffentlichen Mitteln, die jährlichen Zuschüsse des Hauptgesellschafters, der Stadt Wuppertal, betragen ca. 750 – 800.000 Euro. Die WMG vermarktet vor allem touristische Fahrten mit dem Kaiserwagen. Ihr Geschäftsführer ist Martin Bang.
Schon im Jahr 2019 musste die WMG durch einen außerplanmäßigen Zuschuss von 250.000 Euro aus dem städtischen Haushalt vor der Insolvenz gerettet werden. Wegen des Schwebebahn- Stillstands und der Corona-Krise fanden auch im Jahr 2020 kaum Fahrten oder andere touristische Angebote statt. Im Dezember 2020 fiel den Verantwortlichen auf, dass die historischen Räder des Kaiserwagens nach mehr als einer Million Fahrkilometer Risse zeigen und ausgetauscht werden müssen. Da es sich um Guss-Räder handelt, liegt der zeitliche Aufwand für den Austausch bei über einem Jahr, da die Räder vor Inbetriebnahme eine gewisse Zeit gelagert werden müssen. Also werden die selbständigen Einnahmen der WMG auch im Rechnungsjahr 2021 fast komplett ausfallen. Eine neue wirtschaftliche Strategie für diese städtische Gesellschaft ist in der Tat dringend erforderlich. Sie wurde bereits im Jahr 2019 vom ehemaligen OB angekündigt, aber nie verwirklicht.
Immerhin hatte Herr Mucke schon damals festgestellt, dass Wuppertal einen eher schlechten Ruf hat. Man kann sagen, dass die Existenz der Wuppertal Marketing Gesellschaft daran nichts geändert hat. Schaut man sich den Internetauftritt dieser Quasi-Behörde an, erhält man Anhaltspunkte, warum das so ist: Öde Texte, ein Layout aus dem vorherigen Jahrhundert und altbackene Produkte. Es gibt keinen Grund, diese Seite zweimal aufzurufen.
Was ist unter dem neuen OB bislang geschehen, um diese Probleme zu lösen? Gibt es Pläne, die strukturell defizitäre Gesellschaft aufzulösen und den städtischen Haushalt zu entlasten? Man erfährt dazu nichts. Das Thema Wuppertal Marketing GmbH wird von städtischer Seite totgeschwiegen. Dafür gibt es noch weit triftigere Gründe:
Der Geschäftsführer der WMG und sein Aufsichtsrat sowie die städtische Kämmerei haben eine zentrale Rolle im sogenannten ASS-Skandal gespielt. Nach einem Beschluss des OLG Hamm entstand der Stadt Wuppertal dadurch ein Schaden in Höhe von etwa 700.000 Euro. Nur ein Teil dieser Summe konnte zurückgeholt werden. Erst Panagiotis Paschalis beendete als zuständiger Dezernent diese Praxis im Jahr 2016. Als er öffentlich auf das Fehlverhalten in der Stadtverwaltung und im WMG hinwies, handelte er sich eine Anzeige wegen übler Nachrede ein. Herr Bang wurde als Zeuge geladen, verweigerte aber die Aussage. Er fürchtete, sich selbst zu belasten und strafrechtlich oder auch zivilrechtlich zur Rechenschaft gezogen zu werden. Wie er verweigerten alle weiteren Verantwortlichen für das „ASS-Geschäft“ die Aussage.
Im Dezember 2020 wurden mehrere Strafanzeigen bei der Staatsanwaltschaft Wuppertal gegen diese Personen gestellt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nicht, obwohl der Sachverhalt umfänglich durch die Gerichtsakten des OLG Hamm und des LG Bochum sowie durch Verwaltungsakten der Stadt Wuppertal belegt ist. OB Schneidewind ist über die Anzeigen und die vorliegenden Beweise mehrmals ausführlich schriftlich informiert worden. Er ist oberster Dienstherr in der Stadtverwaltung, unternimmt aber auch nichts. Offenkundig versucht er, das Problem auszusitzen. „Verantwortungskultur“ ist das nicht. Das ist das Prinzip der Straflosigkeit.
Für eine echte Bananenrepublik braucht man: eine Clique, die die Macht unter sich aufteilt, eine willfährige Justiz, die Bedrohung anders Denkender, eine schlampige Verwaltung, ein schwaches Parlament und eine schweigende bürgerliche Mehrheit. Willkommen in Wuppertal.