Der zweite Prozesstag: „Das ist ein Sumpf!“

19. November 2020, Dr. Christine Leithäuser


Im Strafprozess gegen den ehemaligen Rechtsdezernenten Paschalis scheint sich das Blatt zu wenden. Nach der Aussageverweigerung des Antikorruptionsbeauftragten und klaren Worten eines Gutachters wird die Verhandlung demnächst ausgeweitet um die Befragung der Aufsichtsratsmitglieder der Wuppertal Marketing GmbH. Im Interview äußert sich RA Prof. Endrik Wilhelm, renommierter Strafverteidiger und gebürtiger Wuppertaler, zum bisherigen Prozessverlauf.

Als Beobachter kann man überrascht sein vom Verlauf des Tages. Das eigentliche Thema der Verhandlung – üble Nachrede - verschwindet geradezu hinter einer Vielzahl von Ungereimtheiten im Verhalten und den Aussagen hochrangiger Verwaltungsbeamter der Stadt Wuppertal. Herr Prof. Wilhelm, wie ist es möglich, dass die zuständigen Kontrollinstanzen, der Rechnungsprüfungsausschuss (RPA) einerseits und der Antikorruptionsbeauftragte der Stadt Wuppertal andererseits, die Praxis der illegalen Zulassung von Automobilen der Leasing-Firma ASS aus Bochum und die damit verbundenen Geldflüsse in den Jahren 2005 bis 2016 niemals beanstandet haben?

„Der Antikorruptionsbeaufragte hat die Aussage verweigert. Er war im Vorfeld des Prozesses nie befragt worden. Ich weiß deshalb nicht, warum er das Geschäft nie beanstandet hat oder der Frage nachgegangen ist, ob Mitarbeiter der Stadt Wuppertal Fahrzeuge der ASS nutzen. Beim RPA ist nach Aktenlage demgegenüber davon auszugehen, dass das Amt sowohl um die Zahlungsflüsse als auch deren Behandlung als außerplanmäßige Einnahmen und Ausgaben wusste. Erstmals im Zuge der von Herrn Paschalis veranlassten Prüfung fragte es 2016 plötzlich und scheinbar ahnungslos bei der Kämmerei nach, warum die Zahlungen trotz der Vorhersehbarkeit als außerplanmäßig behandelt worden seien. Es blieb bei der Frage, ohne dass es weitere Konsequenzen oder auch nur eine Erwähnung im Bericht oder gegenüber dem Rechnungsprüfungsausschuss gegeben hätte. Ich vermute deshalb, dass die Amtsleitung des RPA von Anfang an eingeweiht war.“

Das heißt, hier liegt auch ein eventuell strafwürdiges Fehlverhalten bei der Leitung des Rechnungsprüfungsausschusses vor?

„Im letzten Termin erstatteten wir Strafanzeige gegen den früheren OB Mucke und die Leiterin des RPA, die Zeugin Martina Schmidt. Dabei geht es auch um Folgendes:

  • Der frühere OB Mucke sagte nach unserer Einschätzung in seiner Vernehmung am 27. Oktober 2020 nicht die Wahrheit. Nach seinen Angaben war ihm am 2. September 2016 ein Entwurfsgutachten des RPA vorgelegt worden, das den Auftakt für weitere Ermittlungen des RPA bilden sollte. Diese Aussage war sehr wichtig, weil Herr Mucke damit belegen wollte, mit Hilfe des RPA nach dem 2. September 2016 weitere Aufklärung betrieben zu haben. Aus den vor wenigen Tagen vom AG bei der Stadt angeforderten Akten ergibt sich hingegen, dass das am 2. September 2016 vorgelegte Gutachten endgültigen Charakter hatte und nicht etwa die Grundlage für weitere Ermittlungen sein sollte. Das widerlegt die Behauptung des damaligen OB Mucke zu den angeblich beabsichtigten weiteren Ermittlungen.
  • Unmittelbar nach dem vorerwähnten Gutachten ist in der Akte dasselbe Gutachten nochmals abgeheftet, dieses Mal als „Entwurf“. Es handelt sich nach unserer Einschätzung um ein rückdatiertes Dokument, das erst im Nachhinein zur Akte genommen wurde. Es war erforderlich geworden, weil nach dem 2. September 2016 eine anwaltliche Stellungnahme zu dem Gutachten von RA Prof. Beckmann aus Münster eingegangen war, die schwere Mängel daran feststellte. Es ließ OB Mucke keine andere Wahl, als die Ermittlungen fortzusetzen. Um ein passendes Narrativ zu schaffen, wurde aus dem Gutachten ein Entwurf. Das begründet zugleich den Verdacht einer Urkundenfälschung gegen die Person, die diesen „Entwurf“ zu den Akten nahm. Denn die Akte ist eine Gesamturkunde, deren Manipulation eine Urkundenfälschung sein kann. Wir haben deshalb auch Strafanzeige gegen die Leiterin des RPA gestellt, in deren Verantwortung es lag, den Entwurf zu den Akten zu nehmen.“


Haben Sie Anhaltspunkte dafür, was mit den außerplanmäßigen Einnahmen durch das ASS-Geschäft in den Jahren 2006-2013 geschehen ist?

„Dazu gibt es leider keine Erkenntnisse, weil die Staatsanwaltschaft das in dem vom damaligen OB Mucke auf Druck von Herrn Paschalis initiierten Ermittlungsverfahren nicht geprüft hat. Von der Stadt war der Staatsanwaltschaft in diesem Verfahren vielmehr mitgeteilt worden, es habe sich um budgetierte Mittel gehandelt. Das war falsch, wurde von der Staatsanwaltschaft aber nicht hinterfragt.“

Wer hatte denn die letzte Kontrolle über die Geldflüsse?

„Nach Aktenlage ist die Fortsetzung des Geschäfts mit der ASS nach Auslaufen des ersten Vertrages 2006 von der Kämmerei zu verantworten. Sie wies die Geschäftsführung der WMG an, künftig die Rechnungen der Firma ASS zu bezahlen, was diese nach anfänglichem Widerstand auch tat. Die WMG schickte entsprechende Rechnungen an die Stadt. Jede einzelne dieser Rechnungen musste vom Kämmerer Dr. Slawig persönlich freigezeichnet werden, weil es keine Haushaltsmittel gab, über die andere Mitarbeiter der Kämmerei hätten verfügen können. Das ermöglichte ein Abwicklungsmodell, in dem es nur die Rechnungen der ASS an die WMG und der WMG an die Stadt gab. Gewöhnlich hätten diese Rechnungen die Kontrolle der Kämmerei nicht überstanden, weil es sowohl an einem Vertrag als auch an einem Nachweis der Leistung fehlte. Beides konnte nur ersetzt werden durch die Freizeichnungen von Dr. Slawig. Er beherrschte das gesamte Geschäft.“

Warum ist es denn überhaupt bedeutsam, ob die Geldflüsse im Haushalt als außerplanmäßig behandelt wurden?

„Die Haushaltsplanung obliegt dem Stadtrat, also den von den Bürgern gewählten Repräsentanten der Stadt. Sie beschließen darüber, für welche Zwecke die voraussichtlichen Einnahmen der Stadt verwendet werden. Das geht natürlich nur bezogen auf die Einnahmen, die von der Kämmerei auch als planbar mitgeteilt werden. Hier stellt es sich nach Aktenlage bislang so dar, dass die Zusatzeinnahmen aus den Zulassungen der ASS zumindest bis 2014 (in Summe ein Millionenbetrag) ebenso wenig eingeplant wurden wie die Ausgaben für die Werbeverträge (ca. 1/3 davon). Jedenfalls wurde für jede „außerplanmäßige Ausgabe“ für das Werbegeschäft die „außerplanmäßige Einnahme“ aus dem Zulassungsgeschäft als Gegenfinanzierungsquelle benannt. Wenn sämtliche Einnahmen aus dem Zulassungsgeschäft mit der ASS so behandelt wurden, hätte sich der Kämmerer damit einen sogenannten Reptilienfonds, das sind vom Rat nicht kontrollierte Haushaltsmittel, in Millionenhöhe geschaffen, der ihm große Macht gegeben hätte. So etwas gäbe außerdem Veranlassung, sich den gesamten Haushalt einmal näher anzusehen und darauf zu überprüfen, inwieweit der Rat bei der Haushaltsplanung getäuscht wurde. Bedeutsam wäre das auch für die Frage, ob die Kommunalaufsicht auf diese Weise hinters Licht geführt wurde. Bekanntermaßen ist die Stadt Wuppertal nicht frei in der Verwendung ihrer Mittel und es erscheint mir mehr als zweifelhaft, dass das dubiose Werbegeschäft sich damit vertrug."


Herr Prof. Wilhelm, wie konnte es möglich sein, dass allein Herr Paschalis diese Vorgänge kritisierte und ihm niemand dabei beistand? Zum Beispiel im Zuge der staatsanwaltlichen Ermittlungen?

„Die Staatsanwaltschaft ist von anderen Voraussetzungen ausgegangen. Der Antikorruptionsbeauftragte, Herr Theodor, war der zuständige Ansprechpartner der Stadt Wuppertal in dem bei der StA Wuppertal geführten und von dem damaligen OB Mucke initiierten Verfahren. Er teilte der Staatsanwaltschaft nicht mit, dass die Mittel zur Bezahlung der Rechnungen der Firma ASS außerhalb des vom Rat genehmigten Haushalts generiert wurden. Das hinderte die Staatsanwaltschaft nach unserer Überzeugung an der Schlussfolgerung, dass der Vorgang insgesamt als Untreue einzustufen ist. Daher werden wir eine weitere Strafanzeige gegen den Antikorruptionsbeauftragten, Herrn Theodor, erstatten.“

Herr Theodor hat zu Beginn des zweiten Prozesstages durch seinen Rechtsbeistand vor Gericht erklären lassen, dass er wegen der Gefahr, sich selber zu belasten, von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht. Hat Sie das überrascht?

„Nein."

Eine sehr pointierte Ausdrucksweise benutzte der danach befragte Zeuge, RA Prof. Beckmann aus Münster, der im Jahr 2016 ein Rechtsgutachten für den damaligen OB Mucke zum ASS-“Geschäft“ verfasst hatte. Zitat: „Das ist ja ein Sumpf!“ Was genau meinte er damit?

„Prof. Beckmann hatte Herrn Mucke so beraten, dass der Verdacht auf strafwürdiges Verhalten bei den am Geschäft Beteiligten bestehe und daher Strafanzeige erstattet werden solle. Auch wären disziplinarische Verfahren einzuleiten. Der ebenfalls involvierte damalige Geschäftsführer der Wuppertal Marketing GmbH, Herr Bang, sei bis zum Ausgang der Ermittlungen nicht für das Geschäftsjahr durch den Aufsichtsrat zu entlasten. Prof. Beckmann nahm dann in beratender Funktion an einer Sitzung dieses Aufsichtsrats teil. Er schilderte als Zeuge, dass es sich um eine Veranstaltung gehandelt habe, deren Ergebnis von vornherein festgestanden habe. Seine Argumente seien weder gehört noch gewollt gewesen. Er sprach von einer „unwürdigen“ Sitzung. Auf dem Weg nach Hause habe er sich gewundert, „was für ein Sumpf“ das sei.

Für das Verhalten des Aufsichtsrates sehe ich folgende mögliche Ursachen. Zum einen war die WMG der Ansicht, der Stadt Wuppertal einen Gefallen getan zu haben und wollte nicht akzeptieren, dass ausgerechnet die Stadt ihrem Geschäftsführer das Vertrauen entziehen wollte, weil er ihr diesen Gefallen getan hatte. Zum anderen war es natürlich auch kein Ruhmesblatt für den Aufsichtsrat, das dubiose Geschäft über Jahre mitgetragen zu haben. Sie fürchteten um ihr öffentliches Ansehen. Diese Gemengelage bildete offenbar den Nährboden für den Reflex, das Geschäft um jeden Preis gesund zu beten und den in Fachkreisen überaus renommierten RA Prof. Beckmann wie einen Schuljungen zu behandeln.“


Vor Gericht wird ja insgesamt die Frage behandelt, ob das ASS-Geschäft und das Handeln von Spitzenbeamten der Stadtverwaltung strafwürdig war. Das ist ein echter Justizkrimi. Es geht um den Kämmerer Dr. Slawig, den ehemaligen OB Herrn Mucke, eine Tochtergesellschaft der Stadt, die Wuppertal Marketing GmbH, und deren Aufsichtsräte. Für den kommenden Verhandlungstag am 26.11.2020 sind daher Herr Dr. Beutelmann, Chef der Barmenia, Herr Bang, Geschäftsführer der WMG und Herr Dr. Wölfges, Vorstandsvorsitzender der Stadtsparkasse, als Zeugen geladen. Wie erklären Sie sich angesichts dieser prominenten Personen die geringe Resonanz des Verfahrens in der lokalen und regionalen Presse?

„Die lokale Presse hat einen entscheidenden Beitrag zur Abwahl von Herrn Paschalis geleistet und sich ebenfalls nicht bemüht, die aktuell ans Tageslicht kommenden Details der Vorgänge in der Stadtverwaltung aufzuklären. Ich vermute, dass das den gegenwärtigen Umgang mit dem Verfahren gewissermaßen determiniert. Darüber hinaus sind von dem nunmehr laufenden Verfahren Repräsentanten wichtiger Anzeigenkunden betroffen, wie die Stadtsparkasse Wuppertal und die Barmenia, deren Vorstandsvorsitzender bzw. Aufsichtsratsvorsitzender Protagonisten in der von RA Prof. Beckmann beschriebenen Sitzung waren. Das liefert ein weiteres Erklärungsmodell, auf das geschlussfolgert werden kann, aber natürlich nicht muss. Sollte es zutreffen, wäre es auch deshalb höchst bedenklich, weil eine Demokratie mit einer abhängigen Presse nicht funktioniert.“

Welches Prozessergebnis streben Sie an?

„Herr Paschalis strebt nicht nur einen Freispruch, sondern seine vollständige Rehabilitation an. Der Nachweis, dass der damalige OB Mucke dem Gericht nicht die Wahrheit sagte und zu keiner Zeit davon getrieben war, die Umstände des ASS-Geschäfts, wie von Herrn Paschalis verlangt, aufzuklären, würde einen wesentlichen Beitrag dazu leisten. Ob es zu der gebotenen Verfolgung kommt, wird aber auch davon abhängen, ob die Staatsanwaltschaft Wuppertal bereit und in der Lage ist, die Sache ergebnisoffen zu bearbeiten. Nach meinem bisherigen Eindruck sind die Vorurteile über Herrn Paschalis einerseits und die Repräsentanten der Stadt andererseits leider so verfestigt, dass das ein größeres Problem sein wird.

Wir gehen sogar davon aus, dass es zu weiteren Strafanzeigen kommen wird. Das wird aber noch von weiteren Erkenntnisgewinnen in der Hauptverhandlung abhängen.

Auch das Geschäftsmodell der Firma ASS, die ihre Autos angeblich nur an Sportler oder Beamte vermietet, wäre schon eine nähere Betrachtung wert. Leider hat die Staatsanwaltschaft bislang zur Gänze darauf verzichtet, obwohl schon lange Veranlassung dazu bestanden hätte. Interessant dürfte dabei sein, ob es Kunden in der Verwaltung der Stadt Wuppertal gab. Das könnte die Vehemenz erklären, mit der zahlreiche Vertreter der Stadt das Geschäft reflexartig verteidigten, als Herr Paschalis es aus von niemandem bestrittenen Rechtsgründen beenden musste.“