13. Juli 2021 , Dr. Christine Leithäuser
Ein Leben mit Literatur, Musik, Malerei zu verbringen, erfordert Mut. Und Unabhängigkeit. Es ist ein Leben gegen den Strom, häufig einsam, immer eigenwillig. Fast immer schlecht bezahlt. Aber ziemlich glücklich. Ein Gespräch mit der Inhaberin des Diotima Verlags Wuppertal, Marion Bergmann.
Ich treffe Frau Bergmann im Café Elise neben dem Botanischen Garten auf der Hardt. Sie hat im Jahr 2014 ihren Wuppertaler Verlag gegründet, veröffentlicht selber aber bereits seit dem Jahr 1999. An diesem sommerhaften Tag, im lichten Schatten des Biergartens erzählt sie ihre Geschichte. Sie sollte nicht studieren, nicht einmal Abitur machen, forderte die Mutter. Und schon gar nicht Lehrerin werden. Aber natürlich hielt sie sich nicht daran. Am Ende hat sie ihre Wünsche umgesetzt: studierte an der Bergischen Universität Linguistik, unterrichtet Deutsch als Fremdsprache, führt ihren eigenen Verlag, veröffentlicht, arbeitet mit Musikern und bildenden Künstlern zusammen. Der pure Idealismus.
Lyrik zu „machen“ das ist für Marion Bergmann weder ein Geschäft noch mit viel Beifall verbunden. Es geht ihr vor allem anderen darum, zum eigenen Wesen zu gelangen und davor keine Angst zu haben. „Jeder individuelle Mensch, kann man sagen, trägt, der Anlage und Bestimmung nach, einen reinen idealischen Menschen in sich, mit dessen unveränderter Einheit in allen seinen Abwechslungen übereinzustimmen die große Aufgabe seines Daseins ist.“ (Friedrich Schiller). Sie sieht sich dieser Tradition des Deutschen Idealismus verbunden, die in unserem Alltag fast keine Rolle mehr spielt. Sprache und Sprechen sind heutzutage meist reduziert auf eine Übermittlung von Informationen, nicht von Schönheit. Unsere Gewohnheiten haben sich verschoben: Eine unübersehbare Menge an Texten im Internet, immer formlosere Nachrichten als Email und SMS, ständige „Pings“ aus den sozialen Netzwerken – und am Ende des Tages hat man kaum einen klaren Gedanken gefaßt.
Die radikal kurze und zugleich gestaltete Form des Gedichts ist etwas ganz anderes. Es hat Lücken, sperrt sich gegen ein schnelles Verständnis, das Ungesagte reizt die Phantasie. Der Text und der Leser gehen eine höchst individuelle Verbindung ein. „Wozu Lyrik heute“, fragte Hilde Domin, als sie 1987 und 1988 als vierte Frau nach Ingeborg Bachmann, Marie Luise Kaschnitz und Christa Wolf die Frankfurter Poetik-Vorlesungen hielt. Die Antwort: „Das Leben ist heute eine Erziehung zum Selbstverrat, um das Wort Konformismus einmal zu verdeutschen. In der sich automatisierenden Gesellschaft von Vorder-, Hinter-, Nebenmännern ist Lyrik, diese Gegenkraft gegen Außensteuerung, zunehmend notwendiger, wie sie zunehmend gefährdeter ist.“ Und weiter: „Ein Schriftsteller braucht drei Arten von Mut. Den, er selber zu sein. Den Mut, nichts umzulügen, die Dinge beim Namen zu nennen. Und drittens den, an die Anrufbarkeit der anderen zu glauben.“ Das Gedicht ist ein Augenblick von Freiheit.
Der Wunsch nach Freiheit treibt auch Frau Bergmann an. Sie wünschte sich sowohl einen engen Kontakt zu ihren Autoren als auch individuelle Bücher jenseits der marktgängigen Formate herauszubringen, die sonst keine Chance hätten. Als Lyrikerin bei anderen Verlagen erlebte sie selber, dass deren Entscheidungen über das Layout, den Einband, die Typografie ihrem Empfinden widersprachen. Auch ist ihr Textbegriff ein anderer, er umschließt den Zusammenklang von Text, Malerei und Musik. So gesehen, musste sie sich selbstständig machen.
Das Programm des Verlags umfasst philosophische, belletristische und lyrische Texte. Mehrere Publikationen gehen eine Verbindung ein zwischen bildender Kunst und Literatur. Der in Neuss lebende freie Künstler und Schriftsteller Viktor Nono veröffentlichte 2017 im Diotima Verlag „Zwei Seelen - Eine Faust-Interpretation in einhundertfünfunddreißig Bildern". Ute Leukerts Gedichtband „späte herzwege“ vereint die lyrischen Texte mit Bildern aus dem Werk von Jens Hackel. Marion Bergmanns „Glut der späten Röte“ ist ein aufwendig gestalteter Gedichtband zu Aquarellen von Fereidun Shokatfard. Die öffentliche Lesung in Köln wurde begleitet von dem Flamenco-Gitarristen Ismael Alcalde und der Ausstellung einzelner Blätter des Gedichtbandes.
Henning Bothes Roman „Der Kalender des Zeltmachers“ ist ebenfalls ein Werk, das Grenzen sprengt. In einem steten Wechsel zwischen den Zeitebenen des ersten nachchristlichen und des frühen Zwanzigsten Jahrhunderts wird die Geschichte des jungen Kaisers Nero und des jüdischen Wanderpredigers Paulus in Rom erzählt sowie deren filmische Auferstehung in Hollywood. Biblische und philosophische Zitate sowie historische Szenen kontrastieren mit einer doppelten Romanhandlung, die im antiken Rom und im Kalifornien der Jahre 1913 bis 1951 spielt. Eine höchst individuelle, epische Form, begleitet von ausgeprägter sprachlicher Feinheit:
„Die Stadt war in den letzten Stunden voller Gerüchte gewesen. Die Hofschranke Narcissus, fett geworden wie ein Verschnittener, hatte ihm morgens vor der Kurie allerhand zierliche Warnungen zugeraunt. Senecas neue Gönnerin Agrippina, tat er sich wichtig, während die frühe Sonne auf seinem Stirnschweiß glänzte, treibe längst mit dem Kopf unter Wasser im Tiber, nur habe sich dieser Umstand zu ihr noch nicht herumgesprochen.“
Wo sehen Sie Ihren Verlag in fünf Jahren, frage ich zum Abschluss unseres Gesprächs unter den Kastanien. Die Antwort überrascht dann nicht mehr: Sie habe ihr Ziel erreicht. Die nächsten Jahre seien in der derzeitigen politischen Situation gar nicht planbar. Aber mit dem Verlag ist sie unabhängig. Und dann kommt doch noch ein Wunsch: Gerne würde sie in Wuppertal wieder Lesungen veranstalten, mit Ismael Alcaldes Musik und Viktor Nonos Kunst. Hoffentlich bald.