1. Mai 2022, Dr. Christine Leithäuser
Mit unerwarteter Geschwindigkeit verändern sich die Rahmenbedingungen unseres wirtschaftlichen Handelns. Globale Handelsbeziehungen und das Arbeiten im Betrieb wurden schon durch die Covid Pandemie gestört, nun muss zudem die Energiewende wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine weit schneller erfolgen als gedacht. Deswegen wird sich auch der Trend zum flexiblen Arbeiten zuhause oder in gemeinschaftlich genutzten Büroflächen weiter verstärken. Denn zu teuer ist das Pendeln, zu teuer das Bereithalten von nur in Teilzeit genutzten Büroräumen. Die Stadtteile werden sich weiter verändern, die reine Einkaufsinnenstadt ist passé. Denn: eine gute Durchmischung der Funktionen Wohnen, Arbeiten, Kultur und Freizeit verhindert ebenfalls unnötige Wege und steigert die Lebensqualität in der Stadt. In Wuppertal sind zwei neue „co-working spaces“ in diesem Frühjahr entstanden, die diese neue Kultur des Arbeitens und Lebens in der Stadt beispielhaft vorstellen: Das CoWerk18 in der ehemaligen Knopffabrik in Barmen und das CITY HUB am Laurentiusplatz.
Es regnet so wie früher, das Wasser spritzt vom Asphalt hoch, trommelt auf Maschinenteile und läuft die Scheiben hinunter. Gurgeln, Plätschern, Rieseln, Rauschen – alles gleichzeitig. Die denkmalgeschützte ehemalige Knopffabrik an der Alarichstraße 18 in Barmen scheint menschenleer. Dennoch: ein geöffnetes Tor zum Innenhof, ein Schild an der Eisentür: CoWerk. Dann das Treppenhaus. Betonstufen und Eisengeländer in Hellgrün leiten ins Dachgeschoss. Mitten am Sedansberg, in Sichtweite der Nordbahntrasse arbeiten kreative Unternehmer gemeinsam hinter dunklen Backsteinfassaden.
Das CoWerk18 hat seinen Ort in der ehemaligen Designabteilung der Knopffabrik gefunden. Thusnelda Mercy, Pascal Merighi, Larissa Plath, Angela Köneke, Kirsten Kurth und weitere assoziierte Künstler sind ins Dachgeschoss eingezogen. Mercy und Merighi gehörten zum Pina-Bausch-Ensemble, arbeiteten weltweit auch als Choreographen und gründeten 2020 im Barmer Bahnhof die Tanzstation - Barmer Bahnhof. Dort trifft sich die freie professionelle Tanz- und Kulturszene mit dem Ziel, neue Formate gemeinsam zu entwickeln, sich gegenseitig zu unterstützen und auszutauschen. Sie verschieben mit ihren Projekten bewusst die Grenzen zwischen den Sparten Tanz, Literatur und Film. Ihr Netzwerk aus Künstlern wächst beständig. Und damit der Raumbedarf.
Dass sie heute zwischen den ehemaligen Poliertrommeln für Hornknöpfe ihr ideales Büro gefunden haben, war reiner Zufall. Erfolglos blieb die Suche nach geeigneten Räumen in der Barmer Innenstadt. Bis sie sich schließlich eines Sonntags im Spätherbst mit Christian Baierl von der Renaissance AG, der gerade die Knopffabrik gekauft hatte, zur Besichtigung trafen. Er bot ihnen das Obergeschoss im Südflügel zur Zwischennutzung an. Eine echte Herausforderung, denn die 200 m² Fläche waren für sie allein zu groß. Aber warum sollte hier nicht das funktionieren, was schon im Bahnhof gelebt wird? Kreative aus allen Sparten sind eingeladen, auch das Büro zu nutzen. Besser noch: Gemeinsamkeiten zu entdecken. Zusammen zu arbeiten. Ideen auszutauschen.
In wenigen Wochen richteten sie das Obergeschoss her: Küchenecke, Arbeitstische, Meeting-Room, eine gemütliche Ecke im Turm mit ausrangierten Opernhaus-Klappsesseln in samtigem Grün, gläserne Raumteiler, Pflanzen, Flatscreens, Drucker. Am 20. Februar war Eröffnung. Seitdem wird der Raum rege genutzt, bietet aber noch Platz für weitere Interessierte, die gerne auch aus dem Viertel stammen können. Der Wunsch ist, dass niemand in seiner individuellen Arbeit versinkt. Sondern vielmehr Offenheit, Respekt, Gemeinschaft und Zusammenarbeit gelebt werden. Das CoWerk 18 ist wochentags geöffnet, auf Wunsch auch zu besonderen Terminen. Erstmal für das Jahr 2022.
Zentral am Laurentiusplatz hat am 16. März ein neuer Ableger des Unternehmens codeks, das in der ehemaligen Elba-Fabrik am Arrenberg den größten „coworking space“ Wuppertals bewirtschaftet, eröffnet. Das CITY HUB residiert hinter Sandsteinfassaden und könnte einschüchternd wirken, wären da nicht die herzlichen Typen hinter der Bar. Und das Literaturcafé im Erdgeschoss. Mintgrüne Wände, antike Möbel und Wandbemalung aus dem 19. Jahrhundert.
Dieses Haus ist außergewöhnlich. Die historische Bausubstanz der ehemaligen Unternehmervilla ist überall präsent: die Holztreppe mit gedrechselten Geländerstäben, Dielenböden, Stuck, das ausgemauerte Fachwerk im Dachgeschoss. Gleichzeitig bietet es eine sehr lässige und moderne Bürowelt mit großformatigen modernen Kunstwerken an den Wänden.
Ein Gebäude aus der Zeit von Friedrich Engels zu sanieren, ist nicht einfach. Denkmalschutz, historische Materialien und der Zuschnitt der Räume setzen andere Bedingungen als beim Neubau. Aber welch ein Gewinn, wenn es gelingt. Bauherr ist die Küpper-Gruppe, die sich ebenso wie die Renaissance AG auf die Sanierung und Revitalisierung historischer Gebäude spezialisiert hat. Damit retten sie unser architektonisches Erbe und sorgen für eine zeitgemäße Nutzung. Das CITY HUB ist speziell, aber nicht museal, vielmehr heiter und lebendig. Die Gestaltung der Räume lädt dazu ein, einfach sitzen zu bleiben und zu genießen. Leben und Arbeiten zu verbinden.
Das Konzept des „coworking“ ist im Prinzip immer dasselbe. Man teilt sich die Räume, die technischen Installationen, die Kaffeeküche. In Wuppertal gibt es Tausende freie Quadratmeter Büroflächen zur Miete, der Schlüssel zum Erfolg in dieser Branche liegt aber im zusätzlichen Angebot. Beim CoWerk18 ist es die Nähe zur künstlerischen community und die Möglichkeit zur Zusammenarbeit. Beim codeks CITY HUB ist es die ästhetische und bauliche Qualität, die fasziniert, verbunden mit praktischem Service. Dazu kommt die Nähe zu Gleichgesinnten, die gezielt gefördert wird: mit gemeinsamen Essen oder Feierabendbier, Lesungen, Ausstellungen und Pausenkaffee. "Coworking" ist mehr als ein gemieteter Schreibtisch. Man ist nicht mehr alleine.
Und so verändert sich die Stadt zum Besseren. Schon heute ist das auf dem Laurentiusplatz zu sehen, an den das CITY HUB grenzt. An der Alarichstraße kann in einem ganzen Block ein ebenso lebendiges Zentrum entstehen. Es sind Unternehmer, Künstler und Selbstständige, die heute Arbeitsbedingungen und Innenstädte positiv gestalten. Die historischen Bauten bewahren. Kultur fördern. Und nicht zuletzt Arbeitsplätze schaffen. So geht Stadtentwicklung.