12. März 2021, Dr. Christine Leithäuser
Letzte Woche entschied der Rat der Stadt, das Gelände an der Bockmühle 12 und 18 für 5,6 Mio Euro zu kaufen. Ohne das Risiko der industriellen Altlasten genau zu kennen. Dort soll die siebte Gesamtschule errichtet werden. Ich glaube, dass das Gelände mit PCB belastet ist. Hält die Stadt dennoch am Standort fest?
Um die Gefährdung eines aufgelassenen Industriestandortes einschätzen zu können, muss zunächst geklärt werden, welche Produkte dort wie hergestellt wurden. Hinrich Heyken beschreibt in seinen Beiträgen zur Wuppertaler Stadtgeschichte detailliert die industrielle Entwicklung der einzelnen Stadtteile. Im Abschnitt zu Barmen ist die „Robert Zinn, Engels & Co Metallwarenfabrik“, gelegen an der Erwinstr./Bockmühle (1851-1968), portraitiert.
Die Geschichte der Firma beginnt im Jahr 1851 mit der Erfindung einer metallischen Öse mit Haken, die Schuhe oder auch Damenmieder sicher schlossen, ohne auszureißen. Einmalig in Europa wuchs die Firma stetig und stellte 1866 auf eine Massenfabrikation mithilfe der ersten „Oeilletsmaschine“, die ein Barmer Maschinenbauer entwickelte, um. In einem zweiten Schritt entstand 1896 eine Fabrik für 150 Arbeiter an der Lenneper Straße 35. Schon im Jahr 1910 reichte der Platz nicht mehr aus und man errichtete an der Bockmühle, Ecke Erwinstraße einen siebenstöckigen Hochbau. Daneben entstanden auf dem weitläufigen Gelände ein eigenes Kaltwalzwerk, ein Messingwalzwerk und eine Gießerei. Dort konnten auch Eisen-, Messing- und Kupferbänder sowie Eisen- und Stahldraht hergestellt werden.
Weitere Expansionen der Produktpalette folgten, bis das Werk an der Bockmühle im März 1945 durch Bombenangriffe schwer getroffen wurde. Aber schon Anfang der 1950er Jahre stiegen Produktions- und Beschäftigtenzahlen wieder an, das Metall- und Kaltwalzwerk Bockmühle 12 produzierte weiterhin Bandeisen- und Feinzinkbänder. Unter anderem Namen bestand die Produktion bis Ende der 1970er Jahre fort. Zwischenzeitlich als Lager genutzt, wird das Grundstück Bockmühle 18 und 12 im Jahr 1994 von der Bethe-Stiftung erworben. Ausschließlich das Gebäude Nr. 18 wird zum Hotel umgebaut und genutzt, die Produktionshallen stehen seitdem leer und wurden nie saniert.
Beim Kaltwalzen wurden in der Vergangenheit große Mengen hochgiftiger Hilfsstoffe genutzt und freigesetzt. Sie verdampften in die Atemluft, tropften auf den Boden, drangen ins Grundwasser ein und akkumulierten sich im Mauerwerk. Diese Beizen, Entfetter, Walzöle und Getriebeöle enthielten Schwermetall- und Chlorverbindungen in hohen Konzentrationen. Insbesondere handelt es sich dabei um Polychlorierte Biphenyle, bekannt unter der Abkürzung PCB. Das Umweltbundesamt beschreibt 2018 detailliert deren Verwendung in der Industrie und deren Auswirkungen auf menschliche und tierische Organismen.
Von 1929 bis 1983 wurden in Deutschland durch die Bayer AG Polychlorierte Biphenyle unter anderem als Additive für Hydraulik- und Schmieröle produziert. Diese fanden eine umfassende Anwendung in der Industrie, denn Polychlorierte Biphenyle sind thermisch stabil, schwer entflammbar und elektrisch nicht leitend. In Kaltwalzwerken wurden sie bei der Reinigung und Vorbereitung des Ausgangsmaterials und der Konservierung des Fertigprodukts eingesetzt. Walzöle mit PCB-Zusätzen dienten zur Kühlung der Walzen und zum Schutz der Werkstückoberflächen im Walzprozess. Zudem fanden sie Verwendung in den hydraulischen und mechanischen Antrieben der Walzen.
Kaltwalzanlagen waren bis weit in die 1970er Jahre offene Anlagen. Das heißt, dass die Arbeiter den heißen Öldämpfen direkt ausgesetzt waren und dass die verwendeten Öle und Hilfsmittel vom gewalzten Band aus direkt auf den Boden tropfen konnten. Die Verhältnisse in der Fabrik sind damit direkt denen in der berüchtigten Recycling Firma Envio im Dortmunder Hafen vergleichbar. Dort wurden Restmengen PCB-haltiger Öle aus Transformatoren ausgewaschen. Das verunreinigte Waschmittel wurde teilweise auf den Boden gekippt oder in offenen Behältern gelagert. Das Gelände der ehemaligen Envio musste von 2010, als die PCB Belastung offenbar wurde, bis 2018 aufwändig entgiftet werden. Bis heute werden erhöhte PCB-Werte in der Umgebungsluft und im Boden gemessen.
Zur fraglichen Zeit, als die Zinn und Engels Fabrik an der Bockmühle produzierte, war das Umweltbewusstsein sehr gering bis nicht existent. Entsprechende Gesetze zur Abfallaufbereitung entstanden erst in den 1970er bis 80er Jahren in der Bundesrepublik. Die erste Altölverordnung trat am 1. November 1987 in Kraft. Niemand beschäftigte sich vorab mit den ökologischen und gesundheitlichen Folgen der verwendeten Stoffe. Bergleute berichteten z.B., dass die im Schacht verwendeten Hydraulikflüssigkeiten ohne weitere Schutzmaßnahmen ausgetauscht und das Altöl in die Ecke gekippt wurde. Oder aber in Fässern in den Stollen verblieb. (Der SPIEGEL 3/2015, S. 71ff.) Es braucht wenig Phantasie, sich vorzustellen, wie die „Entsorgung“ wohl in Industriebetrieben über Tage verlief. Man war geradezu berauscht vom „Wirtschaftswunder“. Nur langsam entstand ein Umdenken und die politische „Umweltbewegung“. Aus diesen Gründen ist auf dem Areal der ehemaligen Zinn und Engels Fabrik mit einem gefährlichen Mix an Umweltgiften zu rechnen.
Die gesundheitliche Gefährdung durch PCB sowie die spezifischen Merkmale dieser Stoffe wurden erstmals durch eine massenhafte Vergiftung in Japan im Jahr 1968 offenbar. 1972 schränkte die produzierende Bayer AG die Verwendung auf geschlossene Kreisläufe ein, ein Verbot der Produktion von PCB gab es allerdings erst 1978. Das weltweite Verbot datiert aus dem Jahr 2001. PCB akkumuliert sich in der Umwelt, es reichert sich im Fettgewebe von Organismen an, ist inzwischen auf der gesamten Welt nachweisbar und gilt als krebserregend.
Heute unterliegt die Entsorgung von PCB strengen Regeln. Mit PCB kontaminierte Stoffe müssen bei über 1000 Grad Celsius unter Zufuhr von Sauerstoff in einer Sondermüllverbrennungsanlage zerstört werden, eine oberirdische Deponielagerung ist verboten. Die bundesweite Kapazität solcher Verbrennungsanlagen liegt bei einer Mio Tonnen pro Jahr, nur ein geringer Prozentsatz davon entfällt auf PCB-haltige Abfälle.
Gleichwohl werden die Vorgaben nicht überall eingehalten. Der PCB Skandal am Dortmunder Hafen zeigt beispielhaft, womit zu rechnen ist, wenn diese Stoffe unkontrolliert in die Umgebung gelangen: Im Jahr 2014 begann die Stadt Dortmund damit, das PCB-belastete Material aus den Hallen der insolventen Envio auszuräumen. Im Jahr 2018 sollte der Abriss der Hallen folgen : „Die Sanierung beginnt mit der Demontage und Reinigung aller Einbauten in den Hallen von Krananlagen bis zu Rohren und Leitungen sowie der Decken. Der Boden in der Halle 1 wird dann abgefräst, die Wände mit extremem Wasserdruck abgestrahlt. Das PCB-belastete Fräsgut und die Deckendielen werden später in einer speziellen Anlage in den Niederlanden oder in Sachsen verbrannt. Am Ende werden die Hallen selbst bis auf die Bodenplatten abgebaut […] Alles geschieht unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen. In der Halle 1 wird mit Unterdruck und Absaugfilteranlagen gearbeitet. Die Hallen können nur über hermetisch abgeriegelte Personal- und Materialschleusen betreten werden. Die Mitarbeiter tragen eine Vollschutz-Ausrüstung und werden regelmäßig medizinisch untersucht. Ähnlich aufwendig wird die Sanierung der asphaltierten Freiflächen rund um die Hallen. Auf einem Areal von 4700 Quadratmetern wird der oberste Zentimeter der Asphaltschicht abgefräst und unter einem staubdichten Schutz direkt abgesaugt.“ Voraussichtliche Kosten: 7,5 Mio Euro.
Der Wert aufgegebener Industriestandorte sollte prinzipiell vor dem Verkauf gutachterlich ermittelt werden. Die Kosten der Beseitigung von Altlasten wirken dabei wertmindernd. Der BGH hat im Jahr 2017 zu dem Thema folgendes festgestellt: "Begründet die frühere Nutzung eines Grundstücks objektiv einen Altlastenverdacht, weist dieses nach Auffassung des BGH einen Sachmangel im Sinne von § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB auf, ohne dass weitere Umstände hinzutreten müssen. Insbesondere bedarf es nach der Auffassung des BGH für die Annahme eines Sachmangels keiner zusätzlichen Tatsachen, die auf das Vorhandensein von Altlasten hindeuten." (BGH, Urteil vom 21.07.2017, Az.: V ZR 250/15). Bei den Verhandlungen zum Kauf der Zinn und Engels Fabrik hat die Stadtverwaltung aus Zeitgründen sowohl auf eine detaillierte Bodenuntersuchung als auch auf ein hinreichendes Wertgutachten vor dem Kauf verzichtet. Das war sicherlich ein Fehler.
Schon ohne einen PCB-Verdacht ist ja von Altlasten auszugehen, die beseitigt werden müssen. Dies hat die Stadtverwaltung Wuppertal auch bestätigt. Wie teuer so eine "normale Altlastenbeseitigung" werden kann, veranschaulicht der Vergleich mit der Nachbarstadt Hagen: Für das dortige stillgelegte Kaltwalzwerk bezifferte der Gutachter Axel Nolte im Jahr 2003 im Rahmen einer "orientierenden Gefährdungsabschätzung" die Kosten für Boden- und Grundwassersanierungen auf 645.750,- € zzgl. MwSt.
Ich rechne damit, dass das Gelände der ehemaligen Zinn und Engels Fabrik zusätzlich mit PCB belastet ist. Und ich meine, es ist absolut notwendig, Messungen zur PCB-Belastung am Standort durchzuführen. Der Kauf der Grundstücke durch die Stadt muss solange aufgeschoben werden. Sollte sich der Verdacht bestätigen, kann es zehn Jahre dauern, bis auf dem Grundstück an der Bockmühle überhaupt gebaut werden kann. Für die siebte Gesamtschule wäre das zu spät.
Ich persönlich glaube nicht, dass es sich bei der Bockmühle um eine gute Gelegenheit für die Stadt Wuppertal handelt. Es ist die dienstliche Pflicht der Stadtverwaltung, dem begründeten Verdacht nachzugehen und möglichen Schaden von den Steuerzahlern rechtzeitig abzuwenden.
Zu der Frage der möglichen PCB-Belastung des Grundstücks Bockmühle 12 und 18 wurde eine Stellungnahme von allen Ratsfraktionen sowie vom Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal erbeten. Sobald verfügbar, werden diese hier veröffentlicht.
Die CDU-Fraktion schreibt: "Die Belastung des Bodens durch die industrielle Vornutzung belegt eine orientierende Untersuchung, die im Jahr 2019 erstellt wurde. Von der Bodenbelastung, die sich unter einer vollständig versiegelten Fläche befindet, geht derzeit keine Gefahr für Mensch und Grundwasser aus. Im Fall der Nutzungsänderung, des Rückbaus und des Eingriffs in den Boden sind gleichwohl weitere Untersuchungen und Maßnahmen, wie z.B. die Entsorgung des belasteten Bodens, notwendig. Die vorhandenen Bodenbelastungen müssen bei der Planung und Ausführung zur Errichtung der 7. Gesamtschule besonders berücksichtigt werden. Aufgrund der – im Vergleich zur bestehenden Nutzung Hotel und Fabrikhallen – sensibleren Nutzung Schule, werden voraussichtlich weitere Maßnahmen und Untersuchungen erforderlich werden, insbesondere in Bezug auf die Entsorgung der Bodenaushubmaterialien. Eine Kostenabschätzung kann erst im Rahmen späterer Planungsschritte erfolgen. Genauere Erkenntnisse zu einer PCB-Belastung haben wir nicht. Die Ergebnisse der bisherigen Bodenuntersuchungen sind nicht öffentlich und waren Gegenstand der Vertragsverhandlungen."
Die LINKE-Fraktion schreibt: "Zu der Frage der möglichen PCB-Belastung des Grundstücks Bockmühle 12 und 18: Wie Sie in Ihrem Artikel dargestellt haben, ist überall in der Stadt, wo eine Neunutzung alter Industriestandorte vorgenommen wurde oder geplant ist, mit dem Vorkommen von Altlasten zu rechnen. Deshalb geht die Verwaltung, wie aus der Vorlage VO/00253/21, Ankauf der Grundstücke Bockmühle 12 und 18 als Standort für die 7. Gesamtschule, erkennbar ist, auch auf diesem Areal vom Vorhandensein von Bodenbelastungen aus. Bei jeglicher Art von Neunutzung muss der Grundstückseigentümer, also auch die Kommune, für die Entsorgung der Altlasten sorgen. Dies ist auch im Interesse der Stadt. Genauere Kenntnis über die mögliche Belastung der Grundstücke und die vorhandenen Schadstoffe hat unsere Fraktion zum heutigen Zeitpunkt nicht. Für unsere Fraktion ist der Standort an der Bockmühle der geeignetste Ort, für die dringend benötigte Gesamtschule im Wuppertaler Osten. Dies ist auch im Interesse der Stadt Wuppertal und ihren Bürger*innen."
Die AfD-Fraktion schreibt: "Wie bereits in der Rede unseres Fraktionsmitglieds Martin Liedtke-Bentlage vom 03.03.2021 vor dem Rat der Stadt Wuppertal dargestellt, in der er auf die Unkalkulierbarkeit der Risiken für die Stadt Wuppertal bei einer möglichen größeren Schadstoffbelastung im Zusammenhang mit dem Ankauf des Art-Hotels mit dem dazu gehörendem Gelände Bockmühle 12-18 hingewiesen hat, entsteht nun eine mögliche Gefährdung durch PCB für dieses Projekt der 7. Gesamtschule in Wuppertal. Die weiteren Kosten, insbesondere durch eine Entsorgung der mutmaßlichen PCB Belastung von Gebäude und Gelände, erhöhen dann die Summe des „Blankoschecks“, den die zustimmenden Ratsfraktionen der Verwaltung für dieses Projekt mit ihrer Zustimmung zum Ankauf ausgestellt haben, um ein Vielfaches. Nur eine konsequente Untersuchung aller möglichen Belastungsfaktoren, wie Schadstoffbelastungen, Bodenverunreinigungen, Entsorgungskosten, können, neben den noch nicht bekannten Sanierungs-oder Neubaukosten, eine abschließende finanzielle Sicherheit für die Bewertung der Machbarkeit und Umsetzung dieses Projekts gewährleisten. Diese dann endlich vorliegenden Erkenntnisse müssen dann im Rat der Stadt, offen und völlig transparent, dargestellt und von allen Fraktionen auf der Basis von Fach- u. Sachlage diskutiert und neu bewertet werden. Erst danach kann von allen Ratsmitgliedern, frei von ideologischer Ausrichtung, eng angelehnt an Zahlen, Daten und Fakten eine gute und tragfähige Entscheidung über dieses Projekt getroffen werden. Wir von der AfD-Fraktion im Rat der Stadt fordern, gerade in der finanziellen Situation der Stadt Wuppertal und in Verantwortung für unser Mandat gegenüber allen Bürgerinnen und Bürgern, eine Neubewertung und Entscheidung über dieses Projekt im Rat der Stadt."