Das ist ein unglaubliches Gefühl!

17. März 2021 , Dr. Christine Leithäuser


Wir gehen die Treppe langsam hinauf. Draußen stürmt es, drinnen ist es nasskalt. Die Stufen knarren. Dann schwingt die Tür zum Obergeschoss auf. Vor kurzem ist hier ein Mord geschehen, die stummen Zeugen sitzen noch in Reih und Glied und starren uns aus gläsernen Augen an. Wir sind im Teddybärenmuseum in Cronenberg. Tanja Heinze berichtet von ihrem Leben als freier Autorin. Ihr elfter Roman spielt unter anderem in diesem Haus: Bärenmord!


Wuppertal und echte Menschen

1975 in Wuppertal geboren, wollte Tanja Heinze eigentlich auch nie weg aus dieser Stadt. Das totale Heimatgefühl überkommt sie in der Schwimmoper und der Schwebebahn. Vielleicht auch aus diesem Grund haben fast alle ihre Romane einen klaren Bezug zu Wuppertal. Und es gibt noch eine zweite Konstante ihres Schreibens: wahre Begebenheiten.

Zum Beispiel erzählt sie im bislang erfolgreichsten Roman, der es in der Ranking-Liste der nachgefragtesten zwanzig „self-publisher“ auf Platz eins geschafft hat, die Geschichte einer Frau, die 1945 vor den Bomben der Alliierten aus Wuppertal ins Hessische flieht. Jedoch kann sie dort nicht bleiben und kehrt Mitte der 1950er Jahre wieder zurück und kämpft sich durchs Leben. Ohne ihre Träume zu vergessen. Menschen auf ihrem Weg zu beschreiben, ist also ein Schlüssel zum schriftstellerischen Erfolg von Tanja Heinze. Ihre Texte sind nicht artifiziell sondern authentisch.

Dazu kommen durchaus skurrile Lokalitäten. Das Teddybärenmuseum beispielsweise liegt in einem bergischen Wohnhaus in Cronenberg im Obergeschoss. Man fühlt sich wie im Roman, wenn man unvermittelt das Billiardzimmer betritt und hinter dem mächtigen Tisch in der Zimmermitte die dunkelrote Wanddekoration ins Auge fällt. Die Teddybären bevölkern nebenan gleich mehrere Räume, sie sitzen auf Sesseln und sind von Teegeschirr und Reiseutensilien umgeben wie lieb gewonnene Familienmitglieder.




Schreiben ist der Weg zu ihr selbst

Als freie Autorin zu existieren, muss sie sich erkämpfen. Da sind die einsamen Stunden vor dem Laptop noch die leichteste Herausforderung. Ihr Tag ist straff geplant: Frühstück, kleiner Spaziergang mit dem Münsterländer, Schreiben. Mittagessen, längerer Spaziergang, Schreiben bis in den späten Nachmittag. Aber anders als bei Thomas Mann schließt sie sich dabei nicht ein. Viel lieber geht sie ein Stockwerk nach unten und setzt sich in die Küche ihrer Mutter. Während diese in ihrem Haushalt herumwirtschaftet, klappert die Tastatur ohne Pause.

Tanja Heinze schreibt jetzt seit zehn Jahren, aber dieses Leben war ganz und gar nicht geplant. Nach ihrem Philosophie-Studium an der Bergischen Universität macht sie eine Ausbildung zur Krankenschwester und arbeitet in dem Beruf, bis sie einen schweren Bandscheibenvorfall erleidet. Was nun? Zurück ins Krankenhaus kann sie nicht. Mehr durch Zufall findet sie ihre eigentlichen Themen. Auf einem Spaziergang kommt sie mit einer Nachbarin ins Gespräch, fragt nach deren Mann, den sie schon länger nicht sah. Und da ist sie auf einmal in einer Situation, der sie nicht ausweichen kann. Der Nachbar ist verstorben, seine Witwe auf dem Weg zur Apotheke, um sich diesmal Tabletten zu besorgen, die auch wirklich funktionieren, wie sie sagt. Sieben Tage lang lag sie in ihrer Wohnung, wollte sich umbringen, aber wachte wieder auf. Nun war sie dabei, den zweiten Selbstmordversuch vorzubereiten. All das erzählt sie auf der Straße. Als sie zurück kehrt, steht da wieder Frau Heinze. Lädt sie zum Kaffee ein. Nimmt sie mit zum Einkaufen. Zum Arzt. Zum Verwandtenbesuch. So verbringen die beiden Frauen einen ganzen Monat miteinander. Auch hier spielt ein Teddybär eine entscheidende Rolle. Die Nachbarin nimmt das Angebot an, sich um einen alten Bären von Frau Heinzes Speicher zu kümmern, schließlich hat sie schon mehrere in ihrer eigenen Wohnung. Langsam findet sie zurück ins Leben. Und aus dieser Geschichte wird der dritte Roman: Das Lächeln der Teddybären.

Inzwischen ist der zwölfte Roman in Arbeit. Das Schreiben ist zum Beruf geworden. Die eigene Krise der Krankheit überwunden. Frau Heinze hat in Wuppertal eine echte Fangemeinde, tauscht sich mit Leserinnen und Kolleginnen aus, man liest gegenseitig Korrektur, plant gemeinsame Reisen und überwindet elektronisch und durch Treffen zu zweit die schlimmsten Auswüchse der verordneten Kontaktsperren. Denn das Publikum, das echte, lebendige Publikum, das fehlt schon sehr seit einem Jahr. Auch daraus wurde ein Roman: „Spuren der Seelen“ beschreibt in sechs Episoden von März bis Juli 2020 wie vier Frauen, zwei Männer und ein Junge mit der Corona-Krise leben. Sich auf ihre Vergangenheit besinnen. Auf die eigenen vier Wände angewiesen sind. Wieder zurück in die Gegenwart finden.




Mathilde Krähenfuß

Sie ist die „Wuppertaler Miss Marple“. Eine Kunstfigur mit Blackberry und ausgeprägter Neugier, die die Handlung von inzwischen fünf Kriminalromanen trägt. Die Nebenfiguren bekommen einfachere Namen verpasst, die ins Stadtbild passen, so wie Mucke, Köster, Jung, Seitz. Regelmäßig ist es Mathilde, die den Mörder enttarnt. Wie in einem Kammerstück findet in Bärenmord die zentrale Befragung im Billiardzimmer statt. Alle Verdächtigen treffen dort aufeinander und verraten schließlich ungewollt ihre Motive und persönlichen Verstrickungen. Diese reichen weit zurück, in die Zeit der SED-Herrschaft und der gnadenlosen Verfolgung politisch anders Denkender in der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik. Dieser Kriminalroman ist mehr als eine spannende Handlung im bergischen Gewand, es geht um Recht und Unrecht, persönliche Schuld, gesellschaftlichen Zwang und die Frage, welchen Weg jeder einzelne in schwierigen Verhältnissen für sich wählt.

Aus dem Klappentext: Der fünfundsiebzigjährige Rentner Bernd Bauer wird mit einem Messer im Herzen im Redaktionsbüro der Wuppertaler Stadtteilzeitung „Cronenberger Woche“ aufgefunden. Fast zeitgleich entdecken die Inhaber des Teddybärenmuseums in der Berghauser Straße einen symbolisch hingerichteten Bären. Nur wenige Tage später findet eine Metzgereifachverkäuferin eine weitere Leiche – in der Kältekammer der Cronenberger Filiale des Familienunternehmens „Metzgerei Kaufmann“. Mathilde Krähenfuß, Politredakteurin a.D. und freie Mitarbeiterin der „Ronsdorfer Gazette“, beginnt einen Wettlauf mit der Zeit. Kann sie ein erneutes Zuschlagen des Mörders verhindern?

„Wir haben einen in Szene gesetzten Mord und einen Täter mit einer gestörten Beziehung zu Teddybären. Der Ermordete führte anscheinend ein Einsiedlerdasein, ausgenommen von dem wöchentlichen Besuch seiner Stammprostituierten. Er hat mit fünfundsiebzig Jahren seine Leidenschaft für die Philosophie, insbesondere für den mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebrachten Philosophen Martin Heidegger entdeckt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass der Mörder uns mit dem Schauspiel etwas sagen möchte.“

Nur soviel sei verraten: Der Roman endet im TiC-Theater mit einer fulminanten Überraschung. Den Rest sollte schon jeder selber lesen...