Bildquelle: Universitäts Archiv Wuppertal
22. April 2021, Dr. Christine Leithäuser
Jede Stadt hat ihre Geschichte, die sie unverwechselbar macht. Ihre Identität wird geprägt von historischen Bauten, den Denkmälern, Straßennamen und dem gewachsenen Zuschnitt ihrer Viertel. Zerstört man diese Strukturen, entstehen Aufenthaltsorte ohne Identifikationsmöglichkeit, werden die Straßen zu Durchgängen auf dem Weg zu einem besseren Ziel.
Die Wuppertaler Stadtgeschichte ist voller Beispiele der Zerstörung historischer Substanz. Der größte Verlust an gründerzeitlichen Bauten wurde durch den Umbau zur autogerechten Stadt verursacht, nicht durch die Bombardements am Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Stilllegungen der Straßenbahn und der Bergbahnen waren begleitet von wütenden Bürgerprotesten, gleichwohl beschloss der Rat der Stadt, diese Verkehrsmittel zu entsorgen. Heute könnte man sie gut gebrauchen.
In Wuppertal haben wir in den letzten Jahrzehnten den Umbau am Döppersberg betrachten können. Die historischen Gebäude wurden bis zur Unkenntlichkeit von einem Ensemble nicht zueinander passender Fassaden und Baukörper umringt. Noch vor der Fertigstellung wird dieses Areal geprägt von Leerstand, Verschmutzung, bröckelnden Mauern und abplatzenden Sandsteinplatten. Viel Steuergeld ist verschwendet worden und nun müssen die Bürger dieser Stadt mit diesem Monstrum weiterleben.
Die wahnwitzige Wut auf das Historische, die Erinnerung, die Geschichte ist ein Merkmal der Deutschen Moderne. Politische Akteure ruinieren ihre Kommunen vielleicht nur aus Unfähigkeit, möglicherweise aber ziehen sie eine merkwürdige Befriedigung aus der Macht, zu tun, was andere nicht dürfen. Jedenfalls bringt das zwanghafte Zerstören zugunsten des „Neuen“ nichts ästhetisch Besseres hervor. Meist ist dieses Neue auch nicht ökonomisch zu rechtfertigen. Um das zu verhindern, muss in jedem einzelnen Fall, in dem historische Bauten bedroht sind, eine sachliche und umfassende Anlyse der Gegebenheiten stattfinden und auf der Grundlage von Fakten entschieden werden. Bevor wieder ein Teil unserer architektonischen Geschichte unwiderbringlich verloren geht.
Aktuell geht es wieder einmal um das Gebäude der ehemaligen Pädagogischen Hochschule auf der Hardt. Die Grundsteinlegung war im Jahr 1955 , die Planung erfolgte auf der Grundlage eines umfassenden architektonischen Wettbewerbs. Das Gebäude ist die Keimzelle der Bergischen Universität, war damals weit über Wuppertal hinaus bekannt als Zentrum der Volksschullehrerbildung im Sinne Pestalozzis. Der erste Direktor sollte Dietrich Bonhoeffer werden, der in den letzten Kriegstagen von den Nazis im KZ ermordert wurde. Unzweifelhaft konzentrieren sich an diesem Ort, in diesem Bau zentrale Momente der Deutschen und der Wuppertaler Geschichte.
Bildquelle: Universitäts Archiv Wuppertal
Der Kämmerer, das GMW und einige Ratsfraktionen favorisieren bereits seit langem offen den Abriss dieses historischen Gebäudes. Ihre Begründung dafür ist auf fahrlässige Weise falsch. Schon wieder. Schon wieder begegnen wir einer möglichen Untreue im Amt, einer aufreizend lückenhaften Beschlussvorlage und einer kaum zu ertragenden Dreistigkeit im Umgang mit Fakten.
Am Dietrich-Bonhoeffer-Weg auf der Hardt befindet sich derzeit der asbestsanierte Rohbau der ehemaligen Pädagogischen Hochschule. Schon einmal war deren Abriss geplant, er scheiterte an der Fehlplanung des GMW. Dort wurde schlicht übersehen, dass das dreistöckige Aufstellen von Containern zwingend eine Baugenehmigung erfordert. Es folgte beträchtliche Wut bei den Schulgemeinden des Ganztagsgymnasiums Johannes Rau und der Else Lasker-Schüler Gesamtschule. Denn beide sollten nacheinander in die Container umziehen, während ihre eigenen Schulgebäude vom GMW saniert würden. Aus dieser Situation heraus resultiert die vorliegende Alternativplanung. Sie ist bestimmt von dem einzigen Ziel, dass es „schnell“ gehen müsse mit den Umzügen und der Sanierung.
Hier liegt der grundlegende Denkfehler. Die Gemeindeordnung sieht vor, dass das kommunale Handeln wirtschaftlich zu sein hat, nicht schnell. Unser neuer OB ist sogar Nachhaltigkeitswissenschaftler. Nachhaltig ist das Gegenteil von schnell. Es bedeutet: ökonomisch, ökologisch und sozial ausgewogene und langlebige Strukturen zu schaffen. Diese sind in der Lebenszeitbetrachtung einer Investition zugleich auch die wirtschaftlichsten.
Wie sieht es also mit der Zeitplanung aus? Angeblich geht es am schnellsten, wenn das Gebäude der ehemaligen Pädagogischen Hochschule auf der Hardt abgerissen wird und an dessen Stelle „hochwertige“ Modulbauten errichtet werden, in die das Ganztagsgymnasium einziehen kann, solange das historische Gebäude an der Siegesstraße saniert wird. Vielleicht könnte die Gesamtschule gleichzeitig in dem ehemaligen Telekom Verwaltungsgebäude an der Briller Straße unterkommen. All das würde die Sanierungsvorhaben beschleunigen.
Bei diesem Vorschlag wird nicht berücksichtigt, warum es beim Bauen und Sanieren überhaupt zu Verzögerungen kommt: Regelmäßig melden sich zu wenige Firmen auf die Ausschreibungen, regelmäßig funktioniert die Abstimmung zwischen den Gewerken nicht und regelmäßig führt der Bauboom zu erhöhten Kosten und Umplanungen. Aktuelle Beispiele: Umbau des Historischen Zentrums und des Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasiums.
Bei diesem Vorschlag werden weiterhin Verzögerungen nicht berücksichtigt, für die das GMW und die Schulen selber verantwortlich sind. Die „einfache Instandsetzung“ des Bestandsgebäudes auf der Hardt soll vier bis fünf Jahre dauern. Zwölf Monate davon sind allein für eine vorgezogene Planungsphase, in der sich die Schulgemeinde mit dem GMW darüber verständigt, was sie sich für ein Raumprogramm wünscht, die sogenannte „Phase Null“, vorgesehen. Diese Phase ist absolut verzichtbar.
Denn eine Schule ist ein Gebäude mit Räumen zum Lernen, zum Erholen, zum Verwalten und zum Sport treiben. Dieses Raumprogramm ist auf der Hardt bereits vorhanden. Es gibt Klassenzimmer, eine Mensa, einen Verwaltungstrakt, eine Sporthalle und diverse Nebengebäude. Soll nun darüber diskutiert werden, dass die Klassen in den Verwaltungstrakt umziehen? Wohl kaum. Das Gebäude ist ausgesprochen funktional geplant, es besteht nicht die Notwendigkeit, Wände zu versetzen.
Nicht zuletzt gilt: guter Unterricht findet dann statt, wenn er adressatengerecht geplant und umgesetzt wird, das ist eine fachliche und kommunikative Aufgabe. Der Lernerfolg hängt eben nicht davon ab, ob die Schüler beim Denken an eckigen Gruppentischen in drei verschiedenen Räumen sitzen dürfen. Hinzu kommt: Gesellschaftliche Umstände ändern sich. Den Raumbedarf durch die Flüchtlingskrise und den Distanzunterricht wegen der Corona-Krise konnte niemand vorhersehen und auch nicht einplanen. Wichtiger als zentimetergenaue Ansprüche auszuformulieren, ist es, Räume zu schaffen, die flexibel möbliert und genutzt werden können, um auf sich wandelnde Umstände reagieren zu können. Man kann diese zwölf Monate der Phase Null getrost aus der Vorlage streichen.
Dann die Bauzeit von zweiunddreißig Monaten. Es ist unverständlich und in der Vorlage auch nicht begründet, warum nach erfolgtem Ausbau der asbesthaltigen Bauteile so viel Zeit verstreichen muss. Um als Ausweichquartier für das Johannes Rau Gymnasium zu dienen, braucht das Hauptgebäude ein neues Dach, neue Fenster, neue Strom-, Heizungs- und Wasserleitungen. Diese Arbeiten können parallel erfolgen. Danach ist der Wandputz zu erneuern und dann folgt die Möblierung. Solange nicht sinnfreie Ansprüche verwirklicht werden sollen, wie z.B. eigene Server mit Zugriffskapazitäten für 1500 Personen gleichzeitig aufzustellen oder in jeden Raum eine digitale Tafel zu hängen, kann diese binnen weniger Wochen abgeschlossen sein. An der Junioruni, einer privaten Initiative, sind flexibles Raumprogramm und angepasste Möblierung beispielhaft verwirklicht. Geplant übrigens von einer Architekturstudentin der Universität Wuppertal. Zusammen betrachtet erscheinen die noch im Jahr 2020 veranschlagten zwei bis drei Jahre für eine komplette Sanierung der ehemaligen Pädagogischen Hochschule durchaus realistisch.
Man darf auch nicht vergessen, dass die ursprüngliche Bauzeit unter erschwerten Umständen nur drei Jahre dauerte.
Bildquelle: Universitäts Archiv Wuppertal
Insgesamt ist die Darstellung des GMW, dass ein Abriss und ein neuer Modulbau Zeit sparten, nicht haltbar. Denn die in Anlage 3 der Beschlussvorlage angegebenen Zeiträume für die Errichtung von Modulbauten sind zu kurz bemessen. Laut Auskunft des renommierten Modulherstellers ALHO, eines Unternehmens, das seit 40 Jahren am Markt ist und eine Produktionskapazität pro Jahr von 200 000 m² Modulgebäudefläche besitzt, hat man mit folgenden Zeiten zu rechnen: Ab der Auftragserteilung bis zum fertig aufgestellten Gebäude vergeht durchschnittlich für ein Schulgebäude wie auf der Hardt vorgesehen ein Jahr. Allerdings gibt es Bandbreiten bei den einzelnen Phasen, abhängig von den Wünschen der Auftraggeber und den örtlichen Gegebenheiten: Drei bis fünf Monate dauert die Planungsphase, mindestens drei Monate die Baugenehmigung, zwei bis vier Wochen ist die Aufstellzeit, zwölf bis zwanzig Wochen braucht man für den Innenausbau. Im ungünstigen Fall verbraucht man also vierzehn Monate schon für Planung, Aufstellen und Ausbau. Hinzu kämen die Produktionszeit der Module und die Fundamentarbeiten.
Mit den Werten aus Anlage 3 und den Auskünften des Herstellers gerechnet, würde das schnellstmögliche Aufstellen von Modulbauten am Dietrich-Bonhoeffer-Weg so lange dauern: zwei Monate Planung GMW, sieben Monate Ausschreibung, drei Monate Planung Hersteller, drei Monate Baugenehmigungsverfahren, neun Monate Produktion und Bauphase, zwei Monate Risikopuffer. Das sind 26 Monate insgesamt, wenn nichts dazwischen kommt, wie z.B. eine erschwerte Gründung durch Hangneigung und Dolinen, wie auf der Hardt gegeben. Im ungünstigen Fall bräuchte man 32 Monate oder mehr. Das sind nur Richtwerte. Die Darstellung des GMW mit lediglich 24 Monaten Projektzeit in Anlage 3 liegt zwei Monate unter der unteren Grenze dieser Richtwerte.
Vergleicht man den Zeitbedarf für die Sanierung des Bestandes mit dem Zeitbedarf für das Errichten eines Modulbaus, stellt man fest, dass beide Varianten realistischer Weise gleich viel Zeit benötigen.
Die Anbieter von Modulbauten verweisen darauf, dass diese besonders energieeffizient seien. Man spart Material und Energie durch die industrielle Vorfertigung sowie während der Nutzung durch Fassaden mit Wärmedämmung und kontrollierte Belüftungssysteme. Die Module sind zerlegbar und können recycelt werden. Wenn man einen Neubau auf der grünen Wiese bauen möchte, sind diese Merkmale ein echter Vorteil. Auf der Hardt liegt aber die Situation vor, dass es einen Bestandsbau gibt, der erst abgerissen wird, bevor es zum Neubau kommt. Die „graue Energie“, die im Gebäude auf der Hardt gespeichert ist, also die Energie, die aufgewendet werden musste, um es so aufzubauen mit allen Ziegeln, Betonteilen, Treppen usw., muss in die Energiebilanz mit eingerechnet werden. Und damit verschwendet ein Neubau auf der Hardt Ressourcen anstatt sie einzusparen.
Demgegenüber hat der Bestandsbau energetische Vorteile: Die vorhandene Anbindung ans Fernwärmenetz sowie die Möglichkeit, eine neue Fotovoltaik-Anlage auf dem Dach zu installieren, macht es zum Niedrigenergiegebäude ohne zusätzliche Fassadendämmung oder kontrollierte Belüftung. Die dort verwendeten Baumaterialien bleiben frei von Wärmeverbundsystemen, die am Ende ihrer Lebensdauer als Sondermüll zu entsorgen wären. Nicht zuletzt spielt die Lebensdauer der beiden Gebäudetypen eine entscheidende Rolle. Modulbauten haben eine projektierte Lebenszeit von 50 bis 60 Jahren. Die ehemalige Pädagogische Hochschule ist jetzt 63 Jahre alt und könnte nach der Sanierung wieder problemlos 60 Jahre genutzt werden.
Zusammengefasst liegen die energetischen Vorteile klar bei der Sanierung des Bestandsgebäudes.
Prof. Marian Dutczak, Universität Dortmund, schreibt in der Deutschen BauZeitung: „Die Gesamtkosten [des Modulbaus] sind im Vergleich zu einem konventionellen Generalunternehmer gleich zu setzen.“
Dieselbe Aussage trifft auch das Unternehmen ALHO Modulbau: „Betrachtet man die reinen Investitionskosten, sind diese für die Erstellung eines Modulgebäudes mit denen eines konventionell errichteten Gebäudes vergleichbar. Je nach Anwendung und Ausstattung sind die Preise jedoch sehr unterschiedlich. Das Preisniveau bewegt sich bei ALHO Bürogebäuden beispielsweise zwischen 1.300 und 2.000 Euro netto je Quadratmeter Bruttogrundfläche.“ Im Telefoninterview gibt das Unternehmen an, dass sich die Kosten für Schulgebäude auf etwa demselben Niveau wie für Bürogebäude bewegen. Preisunterschiede entstehen erst durch die Innenausstattung und die Wahl der Fassaden. Vorgehängte Wärmeverbundsysteme sind z.B. als Fassade die günstigste Lösung, Holzmodule die teuerste.
Das GMW behauptet, die Errichtung der Modulbauten koste mindestens 16 Mio Euro, zuzüglich 1,7 Mio für den Abriss. Die Sanierungskosten betrügen hingegen 25 bis 28 Mio Euro.
Die zu sanierenden Gebäude auf der Hardt umfassen 13 680 m² Bruttogeschossfläche, einschließlich Aula, Mensa und Sporthalle. Diese in Modulbauweise neu zu errichten, würde nach den Angaben der Firma ALHO zwischen 18 und 27 Mio Euro kosten. Die Erneuerung der Außenanlagen (2,2 Mio Euro, Anlage 4) wird nur bei der Kostenschätzung der Sanierung berücksichtigt (Anlage 2), bei der Schätzung für den Modulbau aber nicht (Matrix Anlage 4, Beschlussvorlage Seite 3). Über die Aufwendungen für die Fundamentierung der Module schweigt sich das GMW komplett aus.
Insgesamt wird also die vorläufige oder dauerhafte Sanierung mit 25 bis 28 Mio tatsächlich nicht teurer als die Errichtung der Modulbauten. Für Letztere werden 1,7 Mio Abrisskosten, bislang unbekannte Fundamentierungskosten, 18 bis 27 Mio Modulbaukosten und 2,2 Mio Euro Kosten für Außenanlagen benötigt. Das GMW täuscht darüber hinweg, dass die Modulbauten nicht billiger werden als die Sanierung, und gibt deswegen in der Beschlussvorlage lediglich an, dass diese "mindestens" 16 Mio Euro kosten werden.
Die offenkundigen Lücken und Fehler in der Beschlussvorlage des GMW legen den Gedanken nahe, dass der Rat beeinflusst und getäuscht werden soll. Leider sind die politischen Vertreter auch leicht zu täuschen. Der Schulausschuss hat in der Sitzung am 21. April der Vorlage bereits mehrheitlich zugestimmt. Für die kommende Ratssitzung am 10. Mai kommt es jetzt darauf an, dass jedes einzelne Mitglied im Rat zu seiner demokratischen Verantwortung steht. Es geht darum, dass sie ein grandioses Bauwerk nicht schleifen, um an dessen Stelle eine Baracke zu errichten.
Es droht tatsächlich wieder einmal die Zerstörung der Identität dieser Stadt. Und zwar gegen alle Vernunft und haushälterische Verantwortung und Pflicht. Die betrachteten sozialen, zeitlichen, energetischen und ökonomischen Gesichtspunkte widerlegen klar die Notwendigkeit eines Abrisses. Die Sanierung des Gebäudes mit anschließender langfristiger Nutzung wäre demgegenüber eine Chance. Nicht unsere Geschichte zu vergessen, sondern kulturelle Identität zu leben. Historische Substanz zu retten und in der Gegenwart zu nutzen, sichtbar zu machen und zu bewahren.
In der Summe führen Entscheidungen gegen die Vernunft zum schleichenden Bankrott der Stadt. Wirtschaftlich, weil Steuergelder verschwendet werden und für nachhaltige Investitionen fehlen. Sozial, weil das Identifikationsangebot zerstört wird. Politisch, weil das Vertrauen in die kommunalen Vertreter und die Stadtverwaltung untergraben wird. Der neue Oberbürgermeister versprach die große Transformation. Hoffentlich bekommen wir hier nicht das Gegenteil.