Autotal statt Verkehrswende - eine Kritik

16. April 2025, Dr. Christine Leithäuser



Der Alltag

Wuppertaler reisen gerne. So wie viele andere auch. Dieses Jahr erwartet der Düsseldorfer Flughafen für die Osterferien eine Million Fluggäste - ein Zuwachs von 10 Prozent im Vergleich zu 2024. Ebenfalls ungebrochen ist der Trend zum Urlaub am Meer mit dem Auto. Schon am letzten Schultag summierten sich die Staus auf den Autobahnen auf 280 km. Der tägliche Pendlerstau in der Stadt fällt dafür aus. Der Verkehr ist nach wie vor einer der größten Verursacher von Treibhausgasen in Deutschland. Im Vergleich zu 1990 ist der Anteil des Verkehrs an den Gesamtemissionen um 9 Prozent gestiegen und lag im Jahr 2023 bei 22 Prozent. Der Anspruch auf individuelle Mobilität auf der Basis fossiler Energieträger wird täglich von Millionen Autofahrern ohne Rücksicht auf die Folgen durchgesetzt. Das Pariser Klimaschutzabkommen sowie das Bundes-Klimaschutzgesetz sehen demgegenüber eine drastische Minderung der Verkehrsemissionen schon für die nächsten Jahre vor. Beim eigenen Urlaub zieht jedenfalls bislang fast niemand die Konsequenz, anders zu verreisen, um den Klimawandel nicht weiter zu befeuern. Die Folgen sind bereits sehr sichtbar.

Am 14.4.2025 titelte die BILD: „Lanzarote säuft ab!“ Ausnahmezustand und braune Schlammfluten auf der Insel anstelle von entspannten Badeferien. Einen Monat vorher traf es die Toskana. Die Überschwemmungen, Erdrutsche und hohe Flusspegel bedrohten in Florenz das Stadtzentrum mit seinen Kulturschätzen. Insgesamt war der März 2025 der wärmste Monat in Europa seit Beginn der Aufzeichnungen. Die Temperaturen lagen 2,46 Grad über dem 30-Jahresmittel von 1991 bis 2020. Mehr Wärme, mehr Verdunstung, mehr Starkregen. So könnte man es verknappt sagen.

Was geht es den Wuppertaler an, wenn es auf Lanzarote schüttet? Es ist ihm schnurz. Dass es bei uns im März zu trocken war, auch. Dass es einen Zusammenhang zwischen dem Verbrennen fossiler Energieträger und der Erderwärmung gibt, dass es der Mensch mit seinem Verhalten ist, der diese Erwärmung weiter und weiter treibt, niemand will das wissen. Wenn es ums Auto geht, gilt der blanke Egoismus. Die Stadt quillt über, die Straßen sind verstopft, aber eine konstruktive Diskussion über Lösungen gibt es in der „Stadtgesellschaft“ nicht. Lokale Gruppen, die sich nach wie vor energisch für ein Umdenken und Umsteuern im Alltag einsetzen, werden ignoriert und ausgegrenzt.

Das aktuelle Beispiel: Die Initiative Parents for Future Wuppertal hat federführend, zusammen mit 41 Umwelt-Gruppen, am 5. Februar 2025 einen Antrag in den Umweltausschuss der Stadt Wuppertal eingebracht, der dort knapp angenommen und am 17. Februar vom Rat der Stadt wieder kassiert wurde. Die Stadt Wuppertal hätte Teil einer Initiative sein sollen, die sich für einen Förderstopp fossiler Energieträger einsetzt. Das wäre ein politisches Statement gewesen. Noch nicht einmal dazu konnte man sich durchringen. Fast fünf Jahre ist OB Schneidewind nun im Amt. Man kann netterweise sagen: Er hat es versucht. Geglückt ist ihm aber weder eine Verkehrswende, noch sieht man ein Umdenken in den Gremien. Damit liegt unsere Stadt im gegenwärtigen Bundestrend. Das Klimathema scheint angesichts des Ukraine-Krieges, angesichts eines irrlichternden amerikanischen Präsidenten und angesichts steigender Kriminalität auf den Straßen irgendwie altbacken.


Die Ernüchterung

Ich treffe Lisa Könnecke und Sabine Fischer von Parents for Future. Sie wirken enttäuscht und desillusioniert. Zwei Jahre dauerten die Vorarbeiten für den nun abgelehnten Bürgerantrag.

„Wir haben ja nicht nur den Antrag vorbereitet, sondern auch die Initiativen in Wuppertal miteinander vernetzt. Zusammen arbeiten wir daran, das Klimathema in der Öffentlichkeit präsent zu halten, durch Vorträge, Diskussionen, Mahnwachen, Aktionen wie den Kleidertausch, wir suchen das Gespräch mit den Kommunalpolitikern.“

Straßenaktion von Parents For Future / Bild mit freundlicher Genehmigung


Wie geht es jetzt weiter? Erhoffen Sie sich einen Neustart nach der Kommunalwahl?

„Wir wünschen uns zunächst einmal, dass geltende Beschlüsse umgesetzt werden. Das Mobilitätskonzept wäre hier zu nennen. Der Umbau zur Fahrradstadt. Mehr Solarenergie auf städtischen Gebäuden. Revitalisierung von Gebäuden statt Abriss. Der Ausbau des Fernwärmenetzes. Eine klimagerechte Bundesgartenschau. Die Stadtbegrünung. Das sind alles keine neuen Ideen. Es geht einfach sehr langsam oder gar nicht voran, das ist das Problem.“
„Dabei würde doch jeder profitieren, wenn die Aufenthaltsqualität in der Stadt durch mehr Grün steigt. Wenn der ÖPNV bedarfsgerechter ausgebaut würde. Klimaschutz ist keine Belastung, wir arbeiten hier an den Lebensgrundlagen für unsere Kinder. Die werden den Klimawandel voll mitkriegen. Wir müssen jetzt handeln, um die Folgen noch irgendwie abmildern zu können. Aber das ist ja kein Handeln, das unseren Alltag schlechter macht, im Gegenteil.“

Welche konkreten Beschlüsse des Stadtrates wären hier hilfreich?

„Es ist auf vielen Straßen unangenehm, Fahrrad zu fahren. Mit durchgängig Tempo 30 wäre die Situation schon sehr entschärft und Autos und Fahrräder könnten dieselbe Infrastruktur nutzen. Auch müssten Anwohnerparkhäuser gebaut werden. Die Wohnstraßen wären entlastet und könnten begrünt werden, die Parkhäuser übrigens auch. Es geht ja nicht darum, jetzt alle Autos abzuschaffen oder das Autofahren zu verbieten. Für viele Menschen in der Stadt ist das Auto immer noch existentiell wichtig. Auch muss erst der Nahverkehr so leistungsfähig sein, dass man das Auto nicht mehr braucht. Das ist der Schlüssel für die Veränderung.“


Die Alternative

Durch Verweigern und Aussitzen von sinnvollen Veränderungen verliert Wuppertal den Anschluss an einen inzwischen globalen Trend in der Stadtentwicklung. Denn entscheidend für die lebenswerte Stadt der Zukunft sind diejenigen Maßnahmen, die die Folgen des Klimawandels abmildern, und zudem eine höhere Lebensqualität in dicht besiedelten Metropolen erzielen. In unserer Stadt sieht man dazu keine Strategie, nur Stückwerk.

In Paris gab es Ende März ein Bürgervotum dafür, in den nächsten Jahren 500 Straßen in der Hauptstadt für den Autoverkehr zu sperren und zu begrünen. Etwa 10 000 Parkplätze werden sukzessive wegfallen. Die von der Bürgermeisterin Anne Hidalgo initiierte Verkehrswende hat angeblich viele Kritiker. Diese sind allerdings nicht zur Abstimmung gegangen. Bei einer Wahlbeteiligung von 4 Prozent gab es 66 Prozent Befürworter der Sperrungen. Nun beginnen die Planungen, welche Straßen - pro Stadtviertel etwa 25 - zur Fußgängerzone werden sollen. Die Verkehrswende in Paris treibt Hidalgo seit Jahren voran. Sperrungen für Autos an der Seine, mehr Radwege und neue Grünflächen gehören dazu. Fast überall im Stadtgebiet gilt darüber hinaus Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit.

Singapur hat schon vor Jahren ein Konzept erarbeitet, den Green Plan 2030, um die Stadt weiter zu begrünen. Die Folgen des Klimawandels sind in dieser tropischen Stadt deutlich zu spüren. Bis 2030 sollen eine Million Bäume gepflanzt werden, mehr als ein Drittel der Metropole ist bereits von Bäumen bedeckt. 2030 soll jeder der 5,4 Millionen Einwohner nicht mehr als 10 Gehminuten von der Natur entfernt leben können. Für Bauprojekte gelten rigide Vorschriften zur Begrünung der Hochhäuser. Die Neuzulassung eines privaten PKW ist nur durch ein Bieterverfahren möglich, da die Anzahl der Autos in der Stadt limitiert ist. Bis zu 78 000 Euro kann damit eine Neuzulassung kosten. Und fliehen die Einwohner deswegen? Ganz im Gegenteil. Singapur belegt regelmäßig vordere Plätze bei Umfragen nach den Städten mit der höchsten Lebensqualität.

Der Landschaftsarchitekt Bad Smets stellt auf der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig im belgischen Pavillon die „Building Biospheres“ vor. Sieben Meter hohe Bäume erzeugen dort ein subtropisches Klima. Zusammen mit der Klimawissenschaftlerin Valerie Trouet und dem Biologen Stefano Mancuso zeigt er, wie ein angenehmes natürliches Umfeld erzeugt werden kann. Sobald Pflanzen in den Mittelpunkt einer Stadtplanung gerückt werden, reinigen sie die Luft und senken die Temperaturen, verbessern die Lebensqualität und mildern die Auswirkungen des Klimawandels. Nach diesem Prinzip hat er bereits viele Projekte in Metropolen umgesetzt , ab Herbst 2025 folgt die Begrünung der 4,5 Hektar großen Fläche auf der Seine-Insel um die wieder aufgebaute Kirche Notre-Dame in Paris (Vgl. Architektur und Wohnen, 2/2025, Dossier "Stadtnatur", S.101).

Die genannten Beispiele zeigen, dass alle Instrumente, alles Wissen vorhanden sind, um den Klimawandel abzumildern, indem man die Stadt begrünt, den Verkehr anders organisiert und gleichzeitig die Lebensqualität in der City verbessert. Man muss das aber wollen. Dieser fehlende Wille ist das Haupthindernis für eine positive Entwicklung in Wuppertal. Mehr Lebensqualität im Tal wird nur gegen den Willen der Autolobby, gegen den Willen vieler Männer und Frauen, die im Auto das einzig wahre Statussymbol sehen, und gegen den Willen manches Betonkopfes im Rat umzusetzen sein. Darum ist es so wichtig, dass es Gruppen wie Parents for Future gibt, die zäh und regelmäßig diese unbequemen Gewissheiten in die Öffentlichkeit bringen.

Warum nicht auch hier Straßensperrungen? Die Schwarzbach böte sich geradezu dafür an. Fußläufig erreicht man von dort eine Vielzahl an Lebensmittelgeschäften, Apotheken oder Restaurants, zudem den Verkehrsknotenpunkt Berliner Platz. Aus einer heruntergekommenen Wohnlage mit der weitgehend ungenutzten Ruine der ehemaligen Luhns-Fabrik könnte ein angenehmes, hochwertiges, zentrumsnahes Wohnviertel mit viel Grün werden. Immobilienentwickler und Eigentümer würden investieren. Die Stadtpolitik müsste „nur“ die richtigen Rahmenbedingungen schaffen.

Zukunftsmusik? Ja, hoffentlich! Denn auch den Wettbewerb zwischen den Städten um eine gebildete, gut verdienende Bürgerschaft hat Wuppertal in den letzten Jahrzehnten verschlafen. Noch ist es nicht zu spät, um mithilfe städtebaulicher Entscheidungen nicht nur dem Klimawandel etwas entgegen zu setzen, sondern auch der zunehmenden wirtschaftlichen und sozialen Verwahrlosung ganzer Viertel, die einfach keine Lebensqualität bieten.

Im September wird gewählt. Wir haben es in der Hand, was aus dieser Stadt wird.