18. Februar 2021, Dr. Christine Leithäuser
Am 1. März soll der Rat der Stadt der Verwaltung erlauben, das ehemalige Art Hotel, zuletzt eine Flüchtlingsunterkunft, sowie ein brach liegendes schadstoffbelastetes Fabrikgebäude zu einem überhöhten Preis zu kaufen, um dort die siebte Gesamtschule zu errichten. Das wäre die nächste Investitionsruine. Es gibt Alternativen.
17. Februar, 19 Uhr im Ratssaal. Die Bezirksvertretungen Langerfeld / Beyenburg und Heckinghausen werden angehört, ob das Gelände Bockmühle 12 und 18 von der Stadt Wuppertal für 5,6 Mio Euro angekauft werden soll, um dort die siebte Gesamtschule zu errichten. Leider sprechen die Bezirksvertreter sehr wenig. Liegt es vielleicht an der Sitzordnung? Sie sitzen unten. Oben sitzen: Frau Montag und Herr Lehn vom Gebäudemanagement, Frau Warnecke, Bezirksbürgermeisterin, Herr Bialas, Bezirksbürgermeister, Dr. Slawig, Kämmerer. Offenkundig fehlt der zuständige Baudezernent, Herr Minas. Er ist übrigens der einzige Volljurist im Verwaltungsvorstand. Man scheint ihn nicht zu brauchen. Dafür sitzt der ehemalige Baudezernent, Herr Meyer, im Zuschauerraum und zerpflückt sehr nervös die Plastikumhüllung seines Tablets. Er blickt nicht auf und beteiligt sich auch nicht an der Diskussion. Er wird von niemandem beachtet.
Gleich zu Beginn der Sitzung „freut“ sich Frau Warnecke unheimlich darüber, dass das ehemalige Art Hotel von der Stadt aufgekauft werden soll. Herr Bialas stimmt bekräftigend zu und dankt schon einmal allen Beteiligten. Dann kommt die Stunde des Dr. Slawig, der den Stiftungsgründer Erich Bethe lobt, weil dieser nun bereit ist, das Gebäude zum "Marktpreis" an die Stadt zu veräußern. Sofern das schnell durch die Gremien geht. Damit ist klar, wer die Sitzung leitet.
Die Bezirksvertreter widersprechen der Behauptung Slawigs, der Ankauf der maroden Gebäude auf schadstoffbelastetem Grund sei alternativlos, nicht. Sie lassen sich dazu drängen, der Vorlage grundsätzlich zuzustimmen, in vollem Bewusstsein, dass sie keinen Überblick über die Folgekosten dieser Entscheidung haben. Gar nicht haben können. Denn entsprechende Gutachten müssen erst gefertigt werden, bestätigt Frau Montag auf Nachfrage. Es könne sogar sein, dass das Gebäude des Art Hotels nicht zu retten ist und abgerissen werden müsse, ergänzt sie noch. Herr Lehn bestätigt, dass der Boden tiefgründig abzutragen ist, eben mit Schwermetallen belastet, aber das könne das GMW erledigen.
Abgesehen von den baulichen Erschwernissen, die vom Gremium vollkommen missachtet werden, findet auch keinerlei Diskussion zum Kaufpreis statt. Noch nicht einmal, als jemand darauf hinweist, dass im Kaufpreis laut Vorlage auch die Kunstwerke und das Mobiliar des ehemaligen Hotels enthalten sind. Dazu wieder Dr. Slawig: „Dem Verkäufer liegt ein notariell beglaubigtes Angebot eines weiteren Interessenten vor. An diesem Vergleichsangebot muss sich die Stadt messen. Entweder wird alles zum vorgegebenen Preis gekauft, oder man bekommt die Grundstücke nicht. Natürlich ist dabei ein Risko, aber wegen der Zeitnot kann man eben nicht vorher alles prüfen. Und Risiken gibt es auch am Grundstück Badische Straße.“
Welch absurdes Theater. Ein Kaufangebot kann jederzeit zurück gezogen werden, dass es abgegeben wurde, bedeutet zunächst nichts. Hier geht es vielmehr darum, Hektik zu erzeugen und den Preis in die Höhe zu treiben. Das Denken soll ausgeschaltet werden. Sonst könnte doch noch bemerkt werden, dass es vollkommen sinnlos ist, mit Steuergeldern durchgelegene Betten zu kaufen, die seit 2003 in dem Gebäude in Gebrauch sind. Zuletzt wurde das Hotel als Flüchtlingsunterkunft genutzt. Das Land NRW zahlte dafür monatlich 72 000 Euro. Nach vier Jahren wurde der Vertrag mangels Auslastung gekündigt. Bei der Bethe-Stiftung verblieben demnach mindestens 3,45 Mio Euro an Miete. Man kann sagen, dass das Mobiliar damit abgeschrieben ist. Aber nein. Slawig betont nochmals: „Da haben Sie am Ende keinen Handlungsspielraum“.
Dr. Slawig ist schon mehrfach durch spektakuläre und teure Fehlentscheidungen aufgefallen, für die ihn bisher niemand zur Rechenschaft gezogen hat. Der Fall Binder. Der Fall Paschalis. Die ehemalige Pädagogische Hochschule auf der Hardt. Der Fall ASS. Der Fall des Art Hotels hat das Zeug dazu, dass es diesmal für ihn ungemütlich wird. Aber der Reihe nach:
Seit 2017 besteht der Auftrag für die Verwaltung, einen geeigneten Standort für die siebte Wuppertaler Gesamtschule zu finden. Die Suche ist dokumentiert. Aus den vorliegenden Dokumenten folgt nicht, dass der dieser an der Bockmühle liegen muss. Vielmehr weisen das ehemalige Art Hotel und das angrenzende Fabrikgebäude erhebliche Mängel auf, sodass ein Kauf nicht gerechtfertigt ist. Gleichzeitig gibt es Standorte, die wesentlich besser geeignet sind, aber vom Verwaltungsvorstand ohne weitere Angabe von Gründen nicht weiter in Betracht gezogen wurden.
Aus der Bezirksvertretung Heckinghausen äußert nur der ehemalige Bezirksbürgermeister Christoph Brüssermann von Anfang an Kritik. Er kennt den Standort seit über zwanzig Jahren und war mehrmals in den Gebäuden unterwegs. „Das ist ein Groschengrab!“ Niemand in der Bezirksvertretung stelle sich gegen den Beschluss, dass eine siebte Gesamtschule gebaut werden soll, aber es gibt Differenzen bei der Bewertung des Standortes Bockmühle.
Die Straße Bockmühle ist im Bereich des Art Hotels eine Einbahnstraße mit nur 4,50 Meter Breite. Das heißt, dass sich die „Elterntaxis“ und der Busverkehr morgens und nachmittags gegenseitig behindern, da es keine Halte- oder Ausweichmöglichkeiten gibt. Täglich kann man solche Situationen am Schulzentrum am Kothen beobachten, das auch an einer Einbahnstraße liegt. Zudem ist an der Bockmühle zusätzlich mit Schwerlastverkehr wegen der angrenzenden Gewerbebetriebe sowie einer Spedition zu rechnen. Insgesamt erwartet das Ressort Verkehrsplanung daher „gravierende Sicherheitsprobleme“ insbesondere für die zu Fuß oder mit dem Fahrrad kommenden Schüler und beurteilt die Ansiedlung einer sechszügigen Gesamtschule dort als problematisch.
Die Fahrbahn kann wegen der durchgängigen Blockrandbebauung nicht verbreitert werden, das Problem ist also prinzipiell nicht lösbar. Dann gibt es nicht genug Parkplätze. Eine sechszügige Gesamtschule hat etwa 100 Lehrer, dazu kommt weiteres städtisches Personal. Vorhandene Stellplätze für PKW: 26. Abstellmöglichkeiten für Fahrräder gibt es gar keine. Auch hier ist das Problem prinzipiell nicht zu beseitigen, da die Größe der beiden Grundstücke keinen Raum für zusätzliche Stellplätz bietet, es sei denn man baut eine Tiefgarage.
Die Anforderungen an die Grundstücksgröße für eine sechszügige Gesamtschule hat die Stadtverwaltung selber formuliert: „Das Grundstück sollte bei einer dreigeschossigen Bauweise mindestens 15.000 m² bzw. bei einer viergeschossigen Bauweise 12.000 m² groß sein. Diese Vorgaben sind bereits sehr eng bemessen. Der Bau einer Dreifach-Sporthalle sollte auf dem Standort bzw. in Nähe möglich sein. Dafür sollten ca. 4.500 m² Grundstücksfläche hinzu gerechnet werden. Wenn die Schule und die Sporthalle auf zwei getrennten Standorten errichtet werden müssen, sollten die Standorte nicht mehr als fünf Minuten Fußweg auseinanderliegen. Ausgehend von einer Schrittgeschwindigkeit von 4-5 km/h ist die Entfernung auf ca. 400 m begrenzt.“ (Standortsuche – 7. Gesamtschule Teil 1, S. 6, gleichzeitig: VO/0254/21).
Der Grundbesitz Bockmühle 12 und 18 ist 11.211 m² groß. Für eine Sporthalle ist nicht dort, sondern nur auf dem Gelände zwischen der Badischen Straße und dem Rauental Platz. Der Fußweg dorthin ist länger als 500 Meter. Also sind die Grundstücke prinzipiell ungeeignet dafür, eine Schule dieser Größe aufzunehmen. Erste skizzenhafte Planungen des Gebäudemanagements versuchen das zu kaschieren, indem sie den Pausenhof verkleinern. Eigentlich müsste dieser 7500 m² umfassen, an der Bockmühle sind aber nur 5900 m² unter Einbeziehung von Dachterrassen auf dem geplanten vierstöckigen Neubau möglich. Eine weitere Beschränkung des Schulhofs ergibt sich durch die meterhohe Böschung nach Westen. Er liegt eingezwängt zwischen dem Baukörper und dem Geländeanstieg zur Emil-Wagener-Straße. Im Schatten.
Der Neubau soll auf dem Grund der ehemaligen Fabrik Zinn und Engels entstehen, die derzeit ein- bis zweigeschossig ist. Er unterliegt der Zustimmung der Anwohner. Wenn sie gegen das Vorhaben klagen, verzögert es sich um mehrere Jahre oder muss sogar ganz aufgegeben werden. Gibt es Anhaltspunkte dafür, dass so etwas geschehen kann?
Planungsrechtlich handelt es sich um ein innerstädtisches Gebiet mit geschlossener Bebauung ohne Bebauungsplan. Das bedeutet, dass Neubauten nur zulässig sind, wenn sie sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben und das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden (§34 BauGB).
Der Schulneubau würde wesentlich höher werden als die ursprüngliche Fabrik war. Die verkehrsmäßige Erschließung ist nicht gewährleistet. Im Umfeld des Neubaus gibt es ausschließlich ein- bis zweistöckige Gewerbebetriebe und drei- bis vierstöckige Mehrfamilienhäuser aus den 1950er Jahren. Man kann sich schon vorstellen, dass nicht alle Anwohner von dem Projekt begeistert sein werden. Die Gefahr von rechtlichen Auseinandersetzungen vor Baubeginn ist durchaus gegeben.
Die Beschlussvorlage VO/0253/21 empfiehlt dem Rat der Stadt den Kauf der Grundstücke Bockmühle 12 und 18 für den Kaufpreis von 5 Mio Euro, zuzüglich 600 000 Euro Nebenkosten. Das entspricht einem Preis von ca. 500 Euro/ m². Der gebietstypische Bodenrichtwert für Gewerbefläche in Wuppertal in mittlerer Lage, unbebaut, ohne Altlasten, beträgt 65 Euro/ m².
Zu der Preisdifferenz heißt es in der Beschlussvorlage: „Der Kaufpreis für den Grundbesitz entspricht dem Marktwert für Hotelanlagen und ist somit höher als der Verkehrswert für ein Schulgrundstück.“ Dr. Slawig sagte mehrfach vor den Bezirksvertretungen, er halte den Preis für „voll gerechtfertigt“.
Allerdings ist das Art Hotel schon lange kein Hotel mehr und heute in beklagenswertem Zustand. Während der Umbauarbeiten kurz vor der Eröffnung im Jahr 2003 war der stellvertretende Bezirksbürgermeister Brüssermann aus dienstlichen Gründen mit der Bereitschaftspolizei vor Ort. „Mein Eindruck war: Da wurde alles mit der heißen Nadel gestrickt und nur oberflächlich instand gesetzt.“
Das passt zu den kritischen Kommentaren auf einschlägigen Hotelbuchungsportalen, die das Hotel als schlecht gepflegt bezeichneten. Im Jahr 2014 waren Restaurant und Wellness-Bereiche mangels Gästen bereits geschlossen. Im Jahr 2015 mietete das Land NRW das Gebäude an, um es als Flüchtlingsunterkunft zu nutzen. Kurz vor diesem Zeitpunkt hatte Brüssermann zusammen mit einer Architekturprofessorin der Universität Bochum und Vertretern des Bergischen Geschichtsvereins die Fabrikhallen besichtigt. Der Eigentümer Erich Bethe hatte ihnen nämlich die Hallen als Schenkung angeboten, sofern in diesen ein Mobilitätsmuseum entstünde.
Nach der Besichtigung des Inneren lehnte der Geschichtsverein ein weiteres Engagement ab. Tiefe Löcher im Boden und herunterhängende Leitungen ließen sie an der Eignung zweifeln, ebenso die Historie des Gebäudes, in dem während des Krieges Granaten produziert worden waren, danach beherbergte es einen Galvanikbetrieb und ein Kaltwalzwerk. Ihnen war klar, dass der Boden mit Schwermetallen verseucht ist. Es machte keinen Sinn, das finanzielle Risiko der Entsorgungskosten einzugehen.
Es gibt aktuell zwei Grundstücke, die sich im Besitz der Stadt befinden, keine Altlasten aufweisen und die geeignete Größe für den Bau einer Gesamtschule haben. Das eine liegt an der Hatzfelder Straße / Wilkhausstraße und war sogar Teil der Standortsuche. Allerdings fiel es aus der engeren Wahl ohne Angabe von Gründen heraus. Auf dem Grundstück befindet sich derzeit eine sanierte Turnhalle, ansonsten besteht es aus Grünfläche. Ehemals stand dort eine Hauptschule, die die Stadt abreißen ließ. Einziges Problem: es würde das Landschaftsbild verändert und Freiraum bebaut.
Das zweite Grundstück liegt auf der Hardt. Es hat die richtige Größe, 2,2 ha, es ist im Bebauungsplan als Schulgrundstück ausgewiesen, auf ihm stehen bereits ein nun asbestfreier Baukörper mit 13 000 m² Bruttogeschossfläche und mehrere Nebengebäude, die ehemals als Turnhalle, Mensa und Unterkunft gedient haben. Es bietet eine einmalige grüne Umgebung. Über die Schwebebahnstation Völklinger Straße, bzw. über die Buslinie 643 ist es erreichbar. Stellplätze sind kein Problem, auch die Anfahrt per Fahrrad über den Dietrich Bonhoeffer-Weg ist gut möglich. Die ehemalige Pädagogische Hochschule wurde von der Stadt Wuppertal im Jahr 2020 vom Land NRW gekauft. Erste Aussagen des GMW zu den Sanierungskosten liegen bei 27 Mio Euro. Der ursprüngliche Plan, das Gebäude abzureißen und Klassencontainer aufzustellen, um ein Ausweichquartier zu haben, ist an Planungsfehlern gescheitert. Hier könnte nun binnen 3 Jahren ein vollwertiges Schulgebäude entstehen. Zu vertretbaren Kosten. Zum Vergleich: Das Projekt an der Bockmühle wird inzwischen auf mindestens 60 Mio Euro Baukosten geschätzt.
Das Gebäudeensemble an der Bockmühle 12 und 18 ist eine Investitionsruine. Es zu einem Preis von 5,6 Mio Euro zu kaufen, widerspricht klar dem Gebot der sparsamen Wirtschaftsführung. Hinzu kommt, dass das Grundstück aufgrund der Größe und der Verkehrssituation nicht für den Bau einer sechszügigen Gesamtschule geeignet ist. Das Risiko erheblicher Mehrkosten beim Erwerb und der anschließenden Nutzung sind am heutigen Tag noch nicht einmal grob abgeschätzt.
Dass der Kämmerer der Stadt Wuppertal den Ankauf des ehemaligen Art Hotels und der stillgelegten Fabrik Zinn und Engels derartig offensiv befürwortet und das finanzielle Risiko als nicht relevant bezeichnet, ist nicht akzeptabel.
Trifft der Rat der Stadt dennoch den Entschluss, das Grundstück mit den aufstehenden Schrottimmobilien zu erwerben, wäre das ein klarer Fall von Untreue im Amt. Ratsmitglieder sind nach gängiger Rechtsprechung Amtsträger und können für ihre Entscheidungen auch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. § 43 Abs.4 GO NRW sieht eine Haftung der Ratsmitglieder für Schäden vor, die der Gemeinde durch Ratsbeschlüsse entstehen (Held, F.W. u.a. (Hg.), Kommentar zur Gemeindeordnung NRW, Wiesbaden, 2014, 3. Aufl., S. 263). Alle Ratsmitglieder sind überdies verpflichtet dazu, sich vor einer Entscheidung so zu informieren, dass finanzielle Risiken für die Gemeinde nach bestem Ermessen ausgeschlossen werden können (ebd.).
Denn kommunale Amtsträger verwalten die öffentlichen Gelder nur treuhänderisch. Sie dürfen eben nicht nach dem Prinzip verfahren „Koste es, was es wolle, mir ist das egal.“ Eine Verletzung der Vermögensbetreuungspflicht ergibt sich dann, wenn die besser geeigneten Grundstücke zum Bau der siebten Gesamtschule nicht ausgewählt werden. Die Ratsmitglieder haben die Wahl, sich am 1. März 2021 gegen die Vorlage zu entscheiden, ja, sie müssen es sogar. Im Interesse der Gemeinde und auch in ihrem eigenen.